Künstler | The Last Shadow Puppets | |
Album | The Age Of The Understatement | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2008 | |
Bewertung |
Heute, fast zehn Jahre nach dem Erscheinen von The Age Of The Understatement, und in einer Welt, in der mittlerweile ein zweites Album der Last Shadow Puppets existiert, mag sich dieses Debüt deutlich weniger spektakulär ausnehmen. Aber man muss noch einmal an die Ausgangssituation erinnern, als Alex Turner und Miles Kane ihr gemeinsames Projekt vorstellten: Der eine (Turner) hatte mit dem zweiten Album seiner Band gerade den Thron der britischen Musikwelt erklommen. Die Arctic Monkeys wurden von den Kritikern als ebenso kluge wie bodenständige Retter des Rock gefeiert und räumten zugleich in den Charts ab. Der andere (Kane) hatte ein paar Achtungserfolge mit The Little Flames gefeiert, mehr aber auch nicht. Gerade hatte er mit den Rascals eine neue Band um sich formiert, die erst wenige Wochen zuvor ihre erste Single auf den Markt gebracht hatte.
Als die Idee von den Last Shadow Puppets bekannt wurde, musste man sich einige Fragen stellen: Was wollte Alex Turner, von nicht wenigen als der begnadetste Songwriter seiner Generation gefeiert, mit einem Kompagnon, der allenfalls Zweitliga-Niveau zu haben schien? Wie würde seine Band auf den musikalischen Seitensprung reagieren? Und könnte eine hochgradig artifizielle Platte, die in erster Linie von Scott Walker und Burt Bacharach beeinflusst war und vom NME als „a widescreen, glamorous record full of sweeping strings, echoing guitars, tender love songs“ zusammengefasst wurde, den Ruf der Arctic Monkeys als echte Rockband beeinträchtigen? War Turner gar der Ruhm zu Kopf gestiegen, was er nun in einem der am wenigsten originellen Klischees der Rockgeschichte (eine Platte mit vielen Streichern und Soundtrack-Charakter, aufgenommen in Frankreich) auslebte?
Heute wissen wir: Keine dieser Sorgen war berechtigt. The Age Of The Understatement erwies sich für Miles Kane als Karriereboost (er blickt mittlerweile auf eine Goldene Schallplatte und eine Top10-Platzierung im UK mit seinem Solowerk zurück), war zudem das erste Indiz dafür, dass Alex Turner nicht der Wunderknabe bleiben wollte, sondern ein Mann werden, ebenso wie er sich auch mit den Arctic Monkeys nicht auf eine Masche festlegen lassen wollte (was schon das im Jahr darauf erscheinende Humbug bestätigen sollte). Vor allem aber ist das Werk auch für sich genommen eine großartige Platte. Sie hatte alle Zutaten zu einer Schnapsidee, zu Peinlichkeit und eitler Pose – erwies sich aber als Triumph. „Für einen zweiwöchigen Jux zwischen zwei Kumpels erweisen sich The Last Shadow Puppets als eine umwerfende Leistung – die Neubelebung einer archaischen, toten Form der Musik“, hat Mark Beaumont im NME dieses Ergebnis zusammengefasst.
Mit etwas Abstand lassen sich in The Age Of The Understatement durchaus auch Verwandtschaften zum vorangegangenen Werk der beiden Musiker erkennen, so sehr die Platte damals wie ein Schock für viele Fans und ein Bruch mit dem bisherigen Schaffen wirken musste. Standing Next To Me hat die unbändige Energie, die sich bei The Little Flames fand, Calm Like You arbeitet mit cleveren Zweizeilern und Start-Stopp-Dynamik, die schon bei den Arctic Monkeys so gut funktionierten.
Als die beiden Bands zusammen auf Tour waren, lernten sich Kane und Turner kennen. Kane hatte auch ein paar Gitarrenspuren auf Favourite Worst Nightmare eingespielt und stand während der folgenden Tour ein paar Mal mit den Arctic Monkeys auf der Bühne. Beide betonen, dass es zunächst keinerlei Pläne gab, gemeinsame Musik zu machen oder gar ein eigenes Projekt zu gründen. Vielmehr seien die Last Shadow Puppets das natürlich gewachsene Resultat ihrer Freundschaft. „Those songs came from just us two playing together“, stellte Alex Turner im NME klar.
Diese besondere Verbindung ist eine der größten Stärken des Albums, ebenso wie der Enthusiasmus, mit dem die beiden damals 22-Jährigen zu Werke gehen. „In einer Welt, in der das Musikmachen oft einfach wie eine weitere Karriereoption wirkt, verbreiten sie eine sehr altmodische Zuneigung, die auf Humor basiert, auf einem gemeinsamen Geschmack und auf der Tatsache, dass jeder der beiden spielend Dutzende Songs heraushauen kann in derselben Zeit, die andere Bands für eine Toilettenpause brauchen“, hat Tim Jonze diesen Effekt im NME beschrieben. Die Zuneigung besteht somit nicht nur zwischen den Beteiligen, sie wird auch ausgedehnt auf die historischen Vorbilder, die bei den Sessions in Frankreich mit Produzent James Ford zwar nicht im Raum waren, aber doch mit viel Respekt und Begeisterung zum Leben erweckt werden. „Man kann die Verbindung spüren, die wir zu diesem Sound haben. Es gibt kein Herumalbern. Alles ist wirklich gefühlt und wirklich natürlich“, sagte Miles Kane.
The Chamber, das erste Lied, das sie zusammen geschrieben haben, ist ein gutes Beispiel dafür, es offenbart eine Liebe und Begeisterungsfähigkeit, wie die Beatles sie in ihren frühen Coverversionen von US-Klassikern an den Tag legten. Auch I Don’t Like You Anymore zeigt das: Man hört, wie sie sich hineinsteigern, nicht nur in das Tempo des Stücks, sondern auch in den Sound, in die gesamte Idee dieser Band. Gleiches gilt für den Titelsong The Age Of The Understatement, zugleich Vorab-Single: Die Schlagzeugwirbel von James Ford geben den Galopp vor, mit dem die Last Shadow Puppets in Richtung Spaghettiwestern reiten. „The record boils over with the sheer fun of ist own making“, hat der NME über The Age Of The Understatement geschrieben, auch diese Aussage wird hier bestätigt.
Das führt zur vielleicht erstaunlichsten Leistung dieses Albums: Die hier benutzten musikalischen Mittel waren 2008 seit mindestens 30 Jahren nicht mehr modern, dennoch klingen The Last Shadow Puppets überaus aktuell. „Wohl mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht sind Kane und Turner in die Lieblingsplatten ihrer Eltern geklettert und haben ihre eigenen Namen mit Graffiti auf die Hüllen gesprüht. Für alte Musik klingt das auf beachtliche, sogar lächerliche Weise neu“, lautet das entsprechende Fazit in der Plattenkritik des NME.
Black Pant erreicht diesen Effekt mit viel Feuer und Drive, Separate And Ever Deadly setzt auf ein Monster-Riff (das darf man wohl so nennen, auch wenn es von einer Orgel gespielt wird) und Polkarhythmus. Die Energie erwächst auch daraus, dass sich Turner und Kane hier ganz und gar als Einheit aus gleichberechtigten Partnern geben: Bis auf den Gesang ist in keinem der Lieder zu unterscheiden, was von wem kommt. Das Thema, auf das sie sich offensichtlich am häufigsten einigen konnten, ist die unglückliche Liebe: Prominente Figuren auf The Age Of The Understatement sind erstaunlich grausame Frauen, die Glück fast unmöglich machen, auch dann, wenn eine Beziehung noch nicht zu Ende ist oder sich sogar gerade erst anbahnt.
Das sehr filigrane Meeting Place (darin strahlen die grandiosen Streicherarrangements von Owen Pallett am hellsten) zeigt das, auch The Time Has Come Again mit seiner tollen Melancholie oder My Mistakes Were Made For You mit einem Höchstmaß an Stil, Können und Gefühl – und Alex Turner in einem bis dahin nie gehörten Crooner-Modus. Only The Truth erreicht als das vielleicht am meisten ambitionierte Lied dieser Platte beinahe die Sphären eines Bond-Themes. Für zwei Musiker, von denen man zuvor vor allem Wucht (statt Eleganz) und Gegenwartsdiagnose (statt Nostalgie) kannte, ist das ein herausragender Effekt: Erst reibt man sich die Augen, dann schließt man sie wieder und träumt.