Künstler*in | The Lathums | |
Album | How Beautiful Life Can Be | |
Label | Island | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Es soll ja Leute geben, denen es in erster Linie auf das Ergebnis ankommt. Sie unterstützen vielleicht einen Fußballverein und fühlen sich dann als Fan am wohlsten, wenn es einen Sieg zu feiern gibt. Sie bestellen sich vielleicht eine Mahlzeit und verzehren sie, um festzustellen: Dieses Essen hat mich satt gemacht, mir Nährstoffe und Energie zugeführt.
Aber wäre es nicht viel schöner, wenn nicht nur das Ergebnis stimmen würde, sondern auch sein Zustandekommen? Wenn die Mannschaft attraktiven, leidenschaftlichen Fußball spielt, vielleicht sogar mit Akteuren, die aus der eigenen Jugendarbeit des Vereins hervorgegangen sind und sich voll und ganz mit ihrem Team identifizieren? Wenn das Essen nicht nur satt macht, sondern auch gut schmeckt und aus ökologischer Landwirtschaft stammt, mit Zutaten aus der Region? Natürlich wäre es das.
The Lathums sind eine Band für alle, denen dieses „Wie“ ebenso wichtig ist wie das „Was“. Natürlich haben Alex Moore (Gitarre, Gesang), Scott Concepcion (Gitarre, Keyboards), Ryan Durrans (Schlagzeug) und Jonny Cunliffe (Bass) auf ihrem heute erscheinenden Debütalbum How Beautiful Life Can Be viele schöne Melodien, mitreißende Rhythmen und große Emotionen zu bieten, wie man sie auch – hergestellt von Fließband-Hit-Produzenten – im Radio finden kann. Aber diese Band bietet all das sozusagen aus nachhaltiger Produktion, aus Bio-Anbau. Und das lässt die zwölf Lieder des Quartetts aus Wigan in der Nähe von Manchester noch besser klingen. Denn ihr Werdegang erfreut nicht nur romantische Indie-Herzen, sondern sorgt auch für enorme Authentizität, die man dieser Musik anhört.
Frontmann Alex Moore begann erst mit 16, sich ernsthaft für Musik zu interessieren. Er sollte dann mit den 2018 gegründeten The Lathums schon auf der Bühne stehen, bevor er überhaupt mal ein Konzert als Zuschauer besucht hatte. „Ich war so etwas wie ein Spätzünder. Ich habe nie wirklich Musik gehört, das war verrückt. Aber ich war unglücklich, melancholisch, es ging mir nicht gut. Und ohne dass ich es wirklich wusste, wurde die Musik zu meiner Flucht vor all dem“, sagt er im Rückblick. „Ich habe all meine Gefühle in meine Gitarre gesteckt, und so kamen sie alle heraus. Ich hatte viel Scheiße durchgemacht und wollte, dass alles besser wird. Ich wollte es besser machen und ein besseres Leben für mich und meine Mutter und so weiter. In der Musik habe ich meine Antworten gefunden.“ The Great Escape ist der Song, der dieses Erweckungserlebnis am besten auf den Punkt bringt. Jangle, Fantasie und Leidenschaft sind die wichtigsten Zutaten. Auch Oh My Love hat eine vergleichbar große Frische und klingt zugleich wie von einem Altmeister, genau wie das ausgelassene I Won’t Lie mit seiner tollen Melodie und beträchtlichen Tanzbarkeit.
Das viele Momente auf How Beautiful Life Can Be so intuitiv und organisch klingen, ist kein Zufall, sondern passt zur Arbeitsweise von Alex Moore beim Songwriting. „Normalerweise ist es etwas, das für mich sehr persönlich ist“, sagt er. Aber er erkennt auch, wenn er etwas Universelles getroffen hat, das vielleicht „Millionen von Menschen genauso fühlen. Die Worte müssen etwas bedeuten, und dann kommt es einfach von dort. Es hört sich verrückt an, aber ich gehe bei allem von einem Gefühl aus. Wenn es sich richtig anfühlt, sollte man es nicht anfassen, nicht daran herumpfuschen. Ich bekomme dann ein wahnsinniges Gefühl im Bauch und kann mich nicht wirklich beruhigen, ich werde ein bisschen nervös. Es ist fast so, als ob sich alles in mir aufstaut und ich es rausholen muss.“ Solche emotionalen Turbulenzen dürfen auch sein, wenn man gerade Songs erschafft wie den Album-Auftakt Circles Of Faith, zu dessen Stärken eine Smiths-Gitarre, ein himmlischer Refrain und eine großartige Dramaturgie zählen, oder das akustische I’ll Never Forget The Time I Spent With You, das sehr hübsche Harmonies mit noch hübscheren Zeilen wie „Before we even met I spent a lifetime with you“ vereint.
Passend zu diesem sehr ursprünglichen Ansatz bei The Lathums schöpft die Band vor allem aus den sehr frühen Jahren der Popmusik, bevorzugt aus den Fifties. Es sei „wie eine Zeitreise“, wenn er Songs von Elvis Presley oder Patsy Cline höre, sagt Alex Moore. „Ich liebe diese Zeit und diese Ära! Ich spüre, worüber sie damals gesungen haben und warum sie darüber gesungen haben. Die Lieder sind so viel bedeutungsvoller!“ Entsprechend klingt das unbeschwerte I’ll Get By wie eine Schnittmenge aus Buddy Holly, Gerry Cinnamon und den Arctic Monkeys. In I See Your Ghost werden die Parallelen zu Letztgenannten beispielsweise durch einen feinen Bass-Lauf, eine Surfgitarre und vor allem den halsbrecherisch schnellen Gesang noch deutlicher, auch wenn das Lied nie die Aggressivität der Arctic Monkeys erreicht und The Lathums auch niemals eine Schutzhülle aus Retro-Coolness aufbauen wie die Last Shadow Puppets.
Ähnlich wie bei ihren nordenglischen Kollegen lief auch die bisherige Karriere der Lathums, nämlich mit viel „Do it yourself“ und Mundpropaganda. Das Quartett hat in seinen Anfangstagen jede sich bietende Auftrittsmöglichkeit in Wigan und Umgebung genutzt, in Pubs ebenso wie bei Hochzeiten. Sie nennen das ihre „The Beatles in Hamburg“-Zeit. „Als es dann darum ging, richtige Gigs zu spielen, waren wir somit richtig tight“, sagt Drummer Ryan Durrans stolz.
Nach der 2020er EP The Memories We Make ging es dann in die Parr Street Studios in Liverpool mit James Skelly (The Coral) als Produzent. „Das erste Treffen war ein bisschen beängstigend, unser erstes Mal in einem großen Studio mit einem echten Produzenten. Wir waren ein bisschen besorgt, dass er dieser kritische Typ sein könnte, der mit verschränkten Armen und Sonnenbrille dasitzt“, verrät Ryan Durrans, „aber er wurde sehr schnell mit uns warm.“
Dabei war die Geschichte dieser Band keineswegs ein reiner Senkrechtstart, denn Corona verhagelte auch ihnen gehörig die Laune und das Momentum. Nach der ausverkauften Tour im Februar waren eigentlich Shows mit Blossoms und Paul Weller geplant, doch sie fielen dem Lockdown zum Opfer. Diese Zeit nutzte Alex Moore, um das Lied zu schreiben, das dem Debütalbum nun den Titel gibt: How Beautiful Life Can Be reflektiert darüber, was die Pandemie für das Leben von Kindern und jungen Menschen bedeutet – und wie schön es sich anfühlen wird, wenn dieser Ausnahmezustand endlich vorbei ist. „Jeder hat durch die Pandemie wichtige Lebenszeit verloren. Das betrifft aber besonders die jungen Leute. Ihnen fehlt nicht nur der Stoff aus der Schule, sondern auch das Lernen über sich selbst, das ist in diesem Alter enorm wichtig. Es wurde ihnen weggenommen und läuft jetzt völlig anders ab als normalerweise“, hat er erkannt. Dennoch könnte das Lied kaum konstruktuver und hoffnungsvoller sein, ohne dass The Lathums hier das große „Corona wird uns nicht in die Knie zwingen“-Banner schwenken. How Beautiful Life Can Be ist zurückhaltend statt aufdringlich, souverän statt effektheischend, herzlich statt plakativ – das gilt für den Titelsong ebenso wie für das Album insgesamt.
Der einzige Schwachpunkt ist Artificial Screens, das mehr auf Atmosphäre und Komplexität setzt, dabei aber nicht ganz überzeugend wird. Dem stehen viele sagenhaft inklusive Lieder gegenüber wie I Know That Much, bei denen man ahnt: Live wird das noch besser klingen, hüpfend, mit den Armen in der Luft und lauter Menschen um sich herum, die genauso laut mitsingen. Ein besonders origineller Moment wird Fight On, das aus der Perspektive eines Kämpfers in der französischen Resistance während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg erzählt und zugleich „eine Liebesgeschichte, bei der es um Leben und Tod geht“ ist, wie Alex Moore erläutert. Man spürt in diesem Song in der Tat viel Aufbegehren, Gefahr und Entschlossenheit. Ein Höhepunkt ist auch das vom Klavier getragene The Redemption Of Sonic Beauty, weil es mit seinen schwelgerischen, erwachsenen Klängen noch eine ganz andere Facette von The Lathums zeigt. Es ist ein grandioser Abschluss für eine extrem feine Platte. Selbst, wenn man nur auf das Ergebnis achtet.