The Low Anthem – „The Salt Doll Went To Measure The Depth Of The Sea“

Künstler The Low Anthem

The Salt Doll Went To Measure The Depth Of The Sea The Low Anthem Kritik Rezension
Auf ihrem fünften Album erfinden sich The Low Anthem erneut neu.
Album The Salt Doll Went To Measure The Depth Of The Sea
Label Joyful Noise
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

Es gibt viele gute Gründe für Bands, sich selbst zu hinterfragen. The Low Anthem hatten vor ihrem gerade erschienenen fünften Album The Salt Doll Went To Measure The Depth Of The Sea einen besonders guten: Als sie im Juni 2016 gerade begonnen hatten, auf Tour für den Vorgänger Eyeland zu gehen, wurden sie in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt. Ihr Van wäre auch dann ein Totalschaden gewesen, wenn er nicht noch Feuer gefangen hätte, Instrumente und Equipment waren zerstört, alle vier Bandmitglieder kamen ins Krankenhaus.

Dass die 2007 gegründete Band aus Providence sich danach ein paar grundsätzliche Fragen stellte, verwundert nicht. Ebenso wenig die Tatsache, dass sich The Low Anthem erneut neu erfunden haben. Denn Ergebnis der Reflexion ist eine Platte, die – vereinfacht gesagt – die zauberhaften Folksongs der Frühphase mit den freigeistigen Tracks von Eyeland vereint. Man könnte sagen: Mit The Salt Doll Went To Measure The Depth Of The Sea haben Ben Knox Miller, Jeff Prystowsky, Florence Grace Wallis und Bryan Minto ihre eigene Quintessenz gefunden.

In die erste Kategorie gehört der Album-Auftakt Bone Of Sailor, Bone Of Bird. Man kann bei diesem fast geflüsterten Sprechgesang und dem vorsichtigen Beat an Notwist denken, am Ende kommen sehr schicke Streicher dazu. To Get Over Only One Side klingt, als hätten sich Simon & Garfunkel ganz in sich selbst zurückgezogen. Give My Body Back, das eine von etlichen sehr schönen Klavierfiguren auf dieser Platte enthält, ist am nächsten an klassischen Folk-Koordinaten dran.

Dazu kommen eher experimentelle Stücke wie das instrumentale Dotwav, das tatsächlich den Albumtitel umzusetzen scheint und wirkt, als sei es unter Wasser nicht nur aufgenommen, sondern auch erdacht worden. Drowsy Dowsing Dolls wird dezent elektronisch, der Schlusspunkt Final Transmission From The Diving Umbrella setzt auf einen irritiertenden Rhythmus, Coral Crescent überrascht mit dem Klang einer Trompete. In Cy Twombly By Campfire gibt es plötzlich einen richtigen Beat – sogar einen, der mit ein paar zusätzlichen BPM als Hip-Hop-Grundlage (!) denkbar wäre.

Dass The Low Anthem auf The Salt Doll Went To Measure The Depth Of The Sea niemals das Territoirum erreichen, an dessen Grenze das Warnzeichen „Achtung! Sperrig!“ steht, liegt zum einen an der stets niedlichen Helium-Stimme von ben Knox Miller, die etwa in River Brine zum prägenden Element wird oder in The Krill Whistle Their Fight Song dafür sorgt, dass der sehr weit reduzierte Song dennoch etwas Bestimmtheit bewahrt. Vor allem aber liegt es an ihrem ungebrochenen Talent, wundervolle Lieder zu schreiben, die zugleich große Wärme ausstrahlen und dennoch hörbar komplex sind. Toowee Toowee ist so ein Moment, in dem The Low Anthem wirken, als wollten sie sich selbst in den Schlaf singen. Und Gondwanaland scheint mit jedem Takt langsamer zu werden, und immer schöner.

Im Video zu Give My Body Back erkunden Eiswürfel eine Unterwasserlandschaft.

Website von The Low Anthem.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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