The New Pornographers Continue As A Guest

The New Pornographers – „Continue As A Guest“

Künstler*in The New Pornographers

The New Pornographers Continue As A Guest Review Kritik
Fast magisches Talent beweisen The New Pornographers auf „Continue As A Guest“.
Album Continue As A Guest
Label Merge Records
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung

Manche Leute fanden beim neunten Album von The New Pornographers die Frage am spannendsten, ob Dan Bejar wieder zu diesem kanadischen Kollektiv gehört. In der Tat gibt es im Line-Up dieser Band ja ein stetes Kommen und Gehen, was bei der Geschichte seit dem gefeierten ersten Album Mass Romantic (2000) auch nicht verwunderlich ist: Als The New Pornographers begannen, waren sie für die meisten Mitglieder lediglich ein Nebenprojekt. Erst der Überraschungserfolg des Debüts verschob die Prioritäten, auch wenn alle beteiligten Musiker*innen auch weiterhin in anderen Bands oder als Solokünstler*innen aktiv blieben.

Bejar, der sich vor allem auch mit Destroyer einen Namen gemacht hat, stieg als eines der Gründungsmitglieder der New Pornographers 2017 aus, kam vier Jahre später für eine Tour aber wieder zurück, bei der die Band zwei ihrer frühen Alben in voller Länge spielte. Auf dem morgen erscheinenden Continue As A Guest ist er bei einem Song als Co-Autor aufgeführt, auf den neusten Bandfotos jedoch nicht berücksichtigt. Offiziell ist er derzeit also wieder raus.

Viel aufregender als solche Personalien ist aber weiterhin die Musik, die Neko Case (Gesang), John Collins (Bass), Carl Newman (Gesang, Gitarre), Todd Fancey (Gitarre), Kathryn Calder (Gesang, Keyboards, Gitarre) und Joe Seiders (Schlagzeug), bei mehreren Songs unterstützt von Zach Djanikian (Saxofon), hier abliefern. Die Bandbreite auf ihrem neunten Album reicht von Eighties-Ästhetik (Angelcover) über eine E.L.O.-Hommage (Bottle Episodes) bis zu Songs wie dem von Sadie Dupuis (Speedy Ortiz) geschriebenen Firework In The Falling Snow, das man sich als experimentelle Variante der Fountains Of Wayne vorstellen könnte.

Dazu kommen Lieder wie Last And Beautiful, die zunächst unspektakulär wirken mögen, in denen man aber ohne sich anzustrengen drei bis fünf Elemente findet, in die man sich sofort verlieben kann. Auch Marie And The Undersea ist so ein Stück und wird der heimliche Höhepunkt der Platte: Eine seltsames Keyboard trifft auf eine herrliche Gesangsmelodie mit einem leicht japanischen Einschlag, dazu gibt es tolle Drums sowie Bläser und Orgel als sehr wirkungsvolle Verzierung. Der Album-Abschluss Wish Automatic Suite entwickelt nach einem zurückgenommenen Beginn immer mehr Opulenz und schließlich sogar Grandezza, Pontius Pilate’s Home Movies kombiniert schräge Bläser mit einer mächtigen Trommel und einem etwas psychedelischen Refrain, der abstrakte Bass wird darin zum Ausgangspunkt für einen verführerischen, irritierenden Groove.

Der Song, an dem Dan Bejar beteiligt war, steht ganz am Anfang von Continue As A Guest und ist zugleich die erste Single des Albums. Really Really Light basiert auf Material, das The New Pornographers beim 2014er Album Brill Bruisers nicht verwendet hatten. „Ein Teil meiner Arbeitsweise über die Jahre hinweg war es, mit Dingen herumzuspielen, die ich nie fertiggestellt habe. Ich mochte Dans Refrain sehr, und eine Zeit lang habe ich einfach versucht, etwas zu schreiben, von dem ich das Gefühl hatte, dass es dazugehört“, erzählt Bandleader Allan Carl Newman. Das ist wunderbar gelungen, denn neben Eingängigkeit, Entschlossenheit und einer ziemlich plakativen Rock-Wucht ist Really Really Light in ein paar Momenten auch etwas neben der Spur, was es umso reizvoller macht.

Cat And Mouse With The Light entfaltet durch den markanten Bass, den sphärischen Gesang und ein bisschen mehr Elektronik eine hypnotisch Wirkung rund um die Selbsterkenntnis „I can’t stand that you love me“. Der Titelsong erkennt die Parallelen zwischen Online-Phänomenen und den Erfahrungen, wenn man so lange in einer Band ist – in beiden Fällen kann die Option Continue As A Guest reizvoll sein, weil sie kein volles Commitment fordert, eine Hintertür offen hält und ein bisschen mehr Anonymität ermöglicht. „Man fühlt sich fehl am Platz in der Kultur, in der Gesellschaft. Man ist nicht Teil eines Zeitgeistes, sondern glücklich, davon losgelöst zu sein und sein einfaches Leben zu leben, sein langes Ausblenden“, umschreibt Newman die Ausgangssituation, mit dem Ziel „Finde dein eigenes kleines Nirgendwo, finde einen Raum, um auseinanderzufallen!“ Die Musik dazu ist so, wie sie bei den New Pornographers immer ist: intelligent, geheimnisvoll und von einem fast magischen Talent getragen. Die Bläser, die Slide-Gitarre und das Krautrock-Element im Rhythmus dieses Songs dürften eigentlich niemals zusammenpassen. Aber sie tun es. Schon wieder.

Das Video zu Really, Really Light hat vielleicht eine Lösung für Wintersport nach dem Klimawandel.

Website von The New Pornographers.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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