The Subways Uncertain Joys

The Subways – „Uncertain Joys“

Künstler*in The Subways

The Subways Uncertain Joys Review Kritik
The Subways haben „Uncertain Joys“ nach einer Gedichtzeile benannt.
Album Uncertain Joys
Label Alcopop Records
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung

Das war dann wohl blödes Timing. Nachdem The Subways 2015 ihr selbstbetiteltes viertes Album veröffentlicht hatten und damit auch auf Tour gegangen waren, beschloss Frontmann Billy Lunn, dass es Zeit für eine Pause sei. Schließlich waren seit der Gründung seiner Band zwölf Jahre und seit dem erfolgreichen Debütalbum zehn Jahre ins Land gegangen. Mehrere davon war er sogar mit Bassistin Charlotte Cooper ein Paar gewesen. Höchste Zeit also für ein paar neue Eindrücke und Input von außen.

Lunn schrieb sich an der Universität Cambridge ein und studierte dort Englisch, parallel arbeitete er an neuem Material für seine Band. „Viele der Songs habe ich in meinem Studentenwohnheim geschrieben, während ich mich mit der Geschichte der englischen Literatur und der kritischen Theorie beschäftigte“, erzählt er. Man hört dem heute erscheinenden Uncertain Joys diese Einfüsse an: Die erste Subways-Platte seit acht Jahren ist nach einer Zeile aus einem Gedicht von Sarah Dixon benannt, lyrisch ist sie das mit Abstand ambitionierteste Werk in der Geschichte der Band.

Als eine stattliche Anzahl neuer Lieder fertig war, schlug aber das schlechte Timing zu: Während der Covid-19-Pandemie durften die Studierenden in Cambridge den Campus nicht verlassen. Statt ins Studio oder gar auf Tour gehen zu können, saß Billy Lunn also fest und seine freiwillig eingelegte Kreativpause verlängerte sich unfreiwillig. Er nutzte die Gelegenheit, um noch mehr Songs zu schreiben und seine Rolle zu reflektieren. „In dieser Zeit durchlebte ich auch eine Identitätskrise, nachdem mein Selbstbild in den vorangegangenen 15 Jahren als Sänger einer Band für mich definiert worden war“, sagt er.

Statt sich auf der Bühne umjubeln zu lassen, wurde er selbst wieder zum Fan, entdeckte viele neue Acts und Autor*innen. Am deutlichsten hört man diesen Perspektivwechsel nun in der Single Black Wax, benannt nach dem Material, aus dem Vinyl-Scheiben gefertigt werden. „Als ich zum ersten Mal Smokey Robinson & Miracles‘ Tracks Of My Tears hörte, verliebte ich mich nicht nur in den Song (und später in die Musik im Allgemeinen), sondern auch in die Idee der Liebe und die Sehnsucht, die sie in uns nach einem anderen Menschen hervorruft. Ich wollte wissen, wie sich eine solche Liebe anfühlen könnte“, berichtet Dunn. Der Song ist enorm heavy, der Refrain wird veredelt von Charlotte Coopers Gesang und der Text benennt etliche wichtige Einflüsse der Subways. „Gimme Cobain, Annie, Shirley Manson / Hendrix, Fiona Apple, Madonna, Aretha Franklin“, singt Billy Dunn, später dann verweist er darauf, wie wichtig die Musik für seinen Seelenfrieden ist „Give me sanctuary in the space between my ears / give me all the spells I need to cast away my fears / bliss is nothing to the melody your falsetto sings / when I’m lonely, always lonely, it’s everything.“

Das Eingeständnis von Sehnsucht, Einsamkeit und der Suche nach Trost ist zentral für Uncertain Joys, es klingt in Love Waiting On You (das durch die amerikanisierte Stimme und die besonders poppige Gesangsmelodie beispielsweise an Wheatus oder Blink 182 erinnert) ebenso an wie in Incantation, in dem der bisexuelle Lunn über seine erste Verliebtheit in einen Jungen singt, zu einer Musik mit so viel Schärfe und Energie, wie man sich das auch anno 2023 von den Arctic Monkeys wünschen würde. Auch der Titelsong Uncertain Joys vereint Punch und Komplexität. „Schockierenderweise habe ich entdeckt, dass es bei meiner Erfahrung von Liebe nicht nur um mich, mich, mich geht“, sagt Lunn. „Musikalisch wollte ich etwas schreiben, das die Bandbreite meiner Liebe zur Musik widerspiegelt, von Ella Fitzgerald, The Supremes und Smokey Robinson bis hin zu T. Rex, Blondie, Madonna, Outkast und Nirvana.“

Diese Referenzen zeigen allerdings auch das weiterhin bestehende Problem der Subways, bei denen Gründungsmitglied Josh Morgan hier erstmals durch Schlagzeugerin Camille Phillips ersetzt wurde: Die Klasse und Größe ihrer Vorbilder erreicht diese Band nie. Obwohl Billy Dunn diesmal acht Jahre Zeit hatte, um an neuen Songs zu arbeiten, obwohl er seinen Horizont erweitert und auch die Möglichkeiten im bandeigenen Studio in Hertfordshire vollends erschlossen hat, wo Uncertain Joys aufgenommen wurde, bleibt das Material auf dem fünften Studioalbum der Band im Bereich von „solide, okay“ statt „spektakulär, legendär“.

Es ist schön, hier eine Band vor sich zu haben, die weiterhin voll und ganz an die Kraft des Rock’N’Roll glaubt, aber es ist kaum vorstellbar, dass The Subways mit diesen zwölf Songs junge Menschen mit dem Virus von Gitarre-Schlagzeug-Bass anstecken werden. Ein Song wie Influencer Killed The Rock Star ist nicht nur lyrisch plump („All they want is for you to pay, pay, pay / doesn’t matter what they’ve got to say, say, say“), sondern auch musikalisch etwas zu viel Schema F. Swanky Al ist im Text originell (Dunn macht sich mit ordentlich Selbstironie über die Rolle von Rock-Frontmännern lustig), bleibt als Song aber viel zu konventionell. Der Protest in Fight ist plakativ und wird von aufrechter Empörung getragen, bleibt aber weit vom Impact beispielsweise von Rage Against The Machine entfernt, der hier mit harten Gitarren, Sprechgesang und dem Appell zum Zusammenhalt der Unterdrückten offenkundig angestrebt wurde.

Ein sehr typischer Moment ist auch das nahe am Punk angesiedelte The Devil And Me, das von patriarchalischer Prägung handelt, wobei der Ratschlag des Teufels lautet: “And when you’re down on luck / pull yourself back up, and carry on / you’ve got to make things right / so you stand and fight, and carry on.” Das Lied zeigt, wie mühelos zur Beschreibung dieser Musik weiterhin schrecklich altertümliche Formulierungen wie „geht gut ab“, „geiles Riff“ oder „satter Beat“ funktionieren, zugleich könnte niemand bestreiten, dass dieser Song im Festival-Moshpit wieder bestens funktionieren wird.

Den großen Sprung aus der zweiten Liga schaffen The Subways mit Uncertain Joys nicht, aber immerhin gibt es hier (neben viel brauchbarer Gitarrenmusik) auch eine hörbare Weiterentwicklung. Nach sehr namhaften Produzenten bei den bisherigen Alben, darunter Ian Broudie, Butch Vig und Stephen Street, hat Billy Lunn diesmal die Fäden selbst in die Hand genommen. „Ich hatte bereits ein wenig Erfahrung in dieser Hinsicht gesammelt, da ich alle Demos der Band im Haus meiner Eltern aufgenommen hatte, bevor wir mit Ian Broudie ins Studio gingen, um unser Debütalbum Young For Eternity aufzunehmen“, erklärt er. „Von da an war ich immer sehr darauf bedacht, zu beobachten und Fragen zu Methoden und Mitteln des Aufnahmeprozesses zu stellen, was zweifellos diejenigen ärgerte, die ihr Handwerk zu unserem Nutzen ausübten, die aber alle unglaublich hilfsbereit und geduldig waren.“

Was er von den Meistern des Faches gelernt hat, zeigt er beispielsweise mit den schönen Gesangs-Harmonien und vorsichtigen Synthies in Lavender Amelie, das um eine akustische Gitarre aufgebaut ist und auch zu Frank Turner passen würde, oder der ebenfalls sehr hübsch arrangierten Beinahe-Ballade Joli Coeur, in der die Pandemie auch im Text ihre Spuren hinterlassen hat. You Kill My Cool hätte ein weiterer Eintrag in der Liste „peinliche Songs über Sex“ werden können („Lippen, Fleisch, Wärme, Zähne, Hände und das Verschlungenwerden im Inneren des Geliebten. Die Zeit verschwindet und es gibt nur noch dich“, beschreibt Lunn das Thema), doch mit einem starken Riff, tollen Bass und originellen Backgroundgesang wird das Lied in der Tat so packend, dass man die Zeit vergessen und die hormonelle Kraft zumindest erahnen kann.

Der Höhepunkt von Uncertain Joys kommt ganz am Schluss und ist in drei Teile untergliedert: Futures. Das Stück zeigt zum einen erneut, was The Subways mittlerweile auch im Studio können, zum anderen kann man hier einen Effekt beobachten, den es auf diesem Album häufig gibt: Vieles, was auf dem Papier lyrisch überambitioniert wirkt, funktioniert als Songtext dann doch. „Nach der Diagnose meiner Borderline-Persönlichkeitsstörung wurde mir klar, wie mühsam es bis dahin gewesen war, mein Inneres – oft ein leeres, durchsichtiges Gefäß, das das Glück der Menschen um mich herum zerstört, weil ich mich auf der Suche nach einem Gefühl verhalte – mit der Frage in Einklang zu bringen, wie ich von meinem Umfeld wahrgenommen werden könnte“, erklärt Lunn zum Inhalt des Stücks, das von der Komposition her der beste Song des Albums ist, weil die vielen guten Einfälle und die sehr entschlossene Attitüde problemlos die mehr als siebeneinhalb Minuten Spielzeit tragen. Zu dieser Erfahrung passt schließlich auch seine Interpretation des Albumtitels: „Alles ist ungewiss. Aber wir suchen und verschenken trotzdem Freude, wo wir sie finden.“

Nur eine einzige Tänzerin gibt es in Black Wax als Publikum der Subways.

Website von The Subways.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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