The toten Crackhuren im Kofferraum – „Bitchlifecrisis“

Künstler The toten Crackhuren im Kofferraum

The toten Crackhuren im Kofferraum Bitchlifecrisis Review Kritik
Die „Bitchlifecrisis“ handelt auch vom Erwachsenwerden.
Album Bitchlifecrisis
Label Destiny Records
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Über das Alter redet man ja bei Damen bekanntlich nicht. Aber an dieser Stelle müssen wir von dieser Anstandsregel eine Ausnahme machen. Wenn wir davon ausgehen, dass The toten Crackhuren im Kofferraum bei der Gründung ihrer Band im Jahr 2005 um die 20 waren, dann sind sie heute Mitte 30. Man könnte sagen: erwachsen. Dieses Attribut möchte man natürlich kaum gelten lassen bei einer Band, deren Mitglieder Luise Fuckface, Kristeenager oder Doreen Nr. 19 heißen. Trotzdem ist es das entscheidende Thema für Bitchlifecrisis.

Die Berlinerinnen sind auch auf diesem am Freitag erscheinenden dritten Album wild, trashig, schrill und drastisch. Stilistisch wandern sie zwischen NDW, Electroclash und Punk, ihr Lieblingsthema ist weiterhin Sex – mit einer deutlichen Neigung zum Unappetitlichen. Die Platte bietet gleich mehrere Zeilen, bei denen sogar Charlotte Roche rote Ohren kriegen oder die Nase rümpfen würde. Hämatom erweist sich als Sado-Maso-Ballade, Patschuliöl erfindet das Genre von Nekrophilie-R&B, Auf einem Bett aus Pizzaschachteln erklärt, dass die Umstände des Geschlechtsverkehrs richtig eklig werden können, wenn man sich in den Falschen verliebt. QVC gegen Geilheit erzählt davon, wie Homeshopping helfen kann, die eigenen Lust abzutöten und erweist sich als noch ein gutes Argument, warum es in Schlafzimmern keine Fernseher geben sollte.

Produziert wurde das Werk von Archi Alert von der Terrorgruppe, das Album wird es auch als eine limitierte „Lovebox“-Edition geben, die unter anderem das Album auf rotem Vinyl, eine Bonus-EP mit fünf zusätzlichen Songs, ein Kondom und den selbstverfassten Roman Sandy Hollbusch – erotische Abenteuer auf dem Pferdehof umfassen wird. Trotz solcher Blödeleien und eines nach wie vor riesigen Spaßfaktors ist trotzdem klar: Die Bitchlifecrisis umfasst auch die Frage, wie man das Dasein als aufmüpfiges Mädchen und unangepasste junge Frau in den nächsten Lebensabschnitt tragen kann beziehungsweise wie und wann das Hängenbleiben im alten Ethos von Jung, talentlos & gecastet (so hieß 2010 das Debütalbum der Toten Crackhuren im Kofferraum) peinlich werden könnte.

Das führt bei einigen Liedern zu einer zweiten Ebene, die durchaus ernst ist. Jobcenterfotzen wird zum Ventil über den Ärger beim Arbeitsamt, könnte aber auch heißen: Ich weigere mich, meine Würde abzugeben. Crackhurensöhne zeigt auf süffisante Weise: Die Entscheidung, keine Kinder zu haben, kann genauso egozentrisch sein wie die Entscheidung, in der eigenen Reproduktion so etwas wie Sinnersatz zu suchen. Ihr kriegt mich nicht weist entweder darauf hin, dass man sich dem Technologiewahn auch verweigern kann, oder führt all jene vor, die sich komplett in die digitale Welt hineinstürzen und sich einreden, man bräuchte ihre analoge Entsprechung gar nicht mehr. OK ciao sehnt die Apokalypse herbei, aus dem einzigen Grund, dass die Menschheit nichts anderes verdient hat. Die Musik dazu ist kurz Pop, dann Eurodance, dann dank des Gastauftritts von Pöpel MC auch lupenreiner Deutschrap.

Bei etlichen anderen Songs schleicht sich der Gedanke ein: Mit E-Gitarre statt Casio-Keyboard würde das wunderbar zu Kraftklub passen. Wir sind keine Band (Wir sind ne Selbsthilfegruppe), das die Platte eröffnet, ist so ein Beispiel. „Scheiße“, ist das erste Wort des Albums, „Forever Scheiße / I want to be forever Scheiße“, heißt der erste Refrain. Viel weniger Bragging geht nicht, und doch klingt hier mächtig viel Stolz auf den sehr besonderen Zusammenhalt durch, an dessen Kraft es keinen Zweifel geben kann. Auch aus Keine von uns ist krank (Textprobe: „Wir sind alle kerngesund / Wir hassen euch auch ohne Grund“) spricht diese Attitüde, ebenso wie aus dem grandiosen Rumlaufen Stress machen: Wenn Tic Tac Toe wirklich cool und jugendgefährdend gewesen wären, hätten sie solche Lieder gemacht.

Keine Liebe ist eines von vielen Liedern, die sich abends auf dem Festival-Zeltplatz als Monsterhits erweisen könnten. Die Ausgangspunkte von Behindert sind gekränkter Stolz und ein gebrochenes Herz, aus denen dann eine große Lust auf Gemeinheit erwächst. Der Höhepunkt auf Bitchlifecrisis ist Minus 1, inklusive Gastauftritt von Juse Ju. Der Track ist so wie das gesamte Album: fies, lustig, clever. Auch darin thematisieren TCHIK, dass sie für einen bestimmten Lebenswandel eigentlich schon zu alt sind und suchen einen stilsicheren Umgang mit dieser Situation. Gerade das verhindert auch hier, dass der Song ins Alberne abdriftet. Das Erwachsenwerden wird von ihnen einerseits verweigert und geleugnet; auf sehr reizvolle Weise erkennen The toten Crackhuren im Kofferraum hier andererseits doch, dass es nichts ist, das wohl einfach irgendwann von alleine kommen wird – sondern dass sie selbst die Möglichkeit haben, es für sich zu definieren.

Randale im Arbeitsamt zettel die Crackhuren in Jobcenterfotzen an.

Website der Toten Crackhuren im Kofferraum.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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