The Virgin Suicides

Film The Virgin Suicides

The Virgin Suicides Filmkritik Review
Die Lisbon-Schwestern verdrehen den Jungs an ihrer Schule den Kopf.
Produktionsland USA
Jahr 1999
Spielzeit 97 Minuten
Regie Sofia Coppola
Hauptdarsteller Kirsten Dunst, James Woods, Kathleen Turner, Hanna R. Hall, Josh Hartnett, Danny DeVito, A. J. Cook, Chelse Swain, Leslie Hayman
Bewertung

Worum geht’s?

Familie Lisbon führt ein Leben wie die meisten ihrer Nachbarn im Michigan der 1970er Jahre: Der Vater verdient als Mathelehrer das Geld, die Mutter kümmert sich um die fünf Töchter. Die Lisbons gehen in die Kirche und pflegen ihren Vorgarten. Das vermeintliche Idyll wird erschüttert, als die jüngste Tochter versucht, sich das Leben zu nehmen. Die 13-jährige Cecilia schneidet sich die Pulsadern auf und landet im Krankenhaus. Als sie wieder nach Hause kommt, rät ein Psychiater den Eltern, etwas weniger streng zu sein und Cecilia und ihren Schwestern Lux (14), Bonnie (15), Mary (16) und Therese (17) ein paar Freiheiten zu gewähren, einschließlich des Kontakts zu Jungs. Dennoch fühlt sich Cecilia weiter nicht wohl in ihrer Welt, und insbesondere Lux wird zum nächsten Sorgenkind, als sie versucht, die Grenzen des Erlaubten immer wieder auszutesten. Die Jungs im Ort sind hingegen begeistert, dass die fünf hübschen Mädchen sich plötzlich nicht mehr zuhause verbarrikadieren müssen und nun für Kino, Partys und Flirt verfügbar sind  – bis sich Cecilia aus dem Fenster stürzt.

Das sagt shitesite:

Man könnte The Virgin Suicides als eine Stilübung von Sofia Coppola abtun. Schließlich wird diese düstere Geschichte in erstaunlich schönen Bildern erzählt, es gibt viele liebevolle Details in der tollen Ausstattung und reichlich großartige Musik, bei weitem nicht nur im Filmscore von Air. Zumal sich schnell auch die Frage stellt, wie in diesem Film bloß Spannung aufkommen soll. Worauf die Handlung hinausläuft, wird schließlich bereits durch den Titel deutlich, auch der Erzähler aus dem Off spricht früh den kollektiven Selbstmord an, um den es hier geht.

Gleich in doppelter Hinsicht trägt dann aber die Perspektive des Rückblicks dazu bei, dem Geschehen nicht nur Relevanz, sondern auch einen Hauch von Nervenkitzel zu verleihen. Erstens wird die Geschichte von Anfang an als Fanal erzählt, als ein Mysterium, das nie aufgeklärt wurde, die Beteiligten noch immer umtreibt und zum Symbol oder gar Ausgangspunkt für die schlechten Zeiten wurde, die dann in der Nachbarschaft und in der gesamten Stadt begannen. Zweitens erscheinen die gleichaltrigen Jungs, aus deren Sicht der Erzähler aus dem Off auf die Ereignisse blickt, wie Voyeure. Sie beobachten die Lisbon-Töchter (und Mädchen generell) wie Wesen von einem anderen Planeten. Jede Eigenschaft, jede Äußerung, jede Geste erscheint ihnen sowohl rätselhaft als auch weltbewegend. Sie wollen sich in ihr Bad schleichen, lesen ihre Tagebücher, schnüffeln heimlich an ihren Kosmetikartikeln, beobachten sie nachts mit dem Fernrohr. Eine nackte Schulter oder gar eine scheinbar zufällige Berührung reicht aus, um sie völlig aus der Fassung zu bringen.

Diese Aufgewühltheit und die Turbulenzen der Pubertät wurden selten so gekonnt in einem Film eingefangen, auch weil sie hier nicht auf Coming of Age beschränkt, sondern in einen größeren Kontext gestellt werden. Da sind zum einen die Erwachsenen, die sich nicht vorstellen können, dass auch die Sorgen von Teenagern existenziell sein können. „Du bist noch viel zu jung, um zu wissen, wie hart das Leben wirklich ist“, muss sich Cecilia kurz nach ihrem ersten Selbstmordversuch tatsächlich anhören. Insbesondere die Lisbon-Eltern sollen hier (vor allem in ihrer Selbstwahrnehmung) für Vernunft, Autorität und Disziplin stehen, aber sie haben nicht erkannt, dass sie diese Eigenschaften vorleben und sogar gegenüber ihren Kindern legitimieren müssen. Ihre Töchter stellen sich längst die Frage, was eigentlich die Gefahren sein sollen, vor denen ihre strengen und frommen Eltern sie bewahren wollen – und haben ebenso erkannt, dass diese Gefahren entweder von den Erwachsenen selbst erschaffen wurden (etwa Zigaretten oder Autofahren) oder ohnehin unvermeidbar sind, worauf die Anspielungen auf Naturgewalten wie einen Hurrikan oder wilde Tiere in Afrika hindeuten.

Zum anderen beweist The Virgin Suicides eine grandiose Sensibilität beim Blick auf seine jungen Hauptfiguren. Der Film zeigt sehr subtil die Einschränkungen, die für Heranwachsende (und in besonderem Maße für Mädchen) gelten, und in diesem Alter natürlich nicht nur den Aktionsradius verkleinern, sondern auch den Stolz kränken. Das Kinderzimmer wird zum Gefängnis, in dem ihnen klar wird, wie klein ihre Welt ist. Zugleich ist es die Blase, in der Zusammenhalt untereinander wächst und die Mädchen gegenseitig ihre Fantasie hinsichtlich des Lebens da draußen anstacheln. Gemeinsam wollen sie etwas bewahren, das vielleicht die Unschuld der Kindheit ist, aber sich auch zur Seite stehen beim Versuch, etwas hinter sich lassen und neue Erfahrungen zu machen. Die Schwestern sind in diesem Film die einzigen, die sich untereinander auf Augenhöhe begegnen – auch von den gleichaltrigen Jungs werden sie nur als Objekte betrachtet und erst durch ihre Entscheidung zum Selbstmord als eigenständige Persönlichkeiten erkannt. Nicht zuletzt wird deutlich, wie viel weniger abgestumpft die Mädchen im Vergleich zu ihrer Umwelt gegenüber Ungerechtigkeiten und Hartherzigkeit sind, etwa in ihrem Versuch, den Baum im Vorgarten zu retten, der wegen Schädlingsbefalls von der Abholzung bedroht ist, oder beim liebevollen Bemühen, einem behinderten Jungen ein paar Witze auf seine Kosten zu ersparen.

Den Gemeinplatz, dass Eltern keinen Zugang zu ihren Teenager-Kinder finden und Jungs in diesem Alter auch keine Mädchen verstehen, wandelt The Virgin Suicides um in eine Parabel über Missverständnissen, Misstrauen und gescheiterte und ausbleibende Kommunikation. Es geht hier eben nicht nur um Die Selbstmord-Schwestern (das war der deutsche Titel der Romanvorlage von Jeffrey Eugenides) oder um Verlorene Jugend und Das Geheimnis ihres Todes (das waren jeweils Untertitel des Films im deutschen Verleih). Vielmehr entfaltet sich eine Geschichte über Einsamkeit, Rebellion, Neugier, Respekt sowie die Sehnsucht nach Verbindung und Zusammenhalt. Letztlich geht es um den schmerzhaften Hinweis darauf, dass wir alle in unserem Bewusstsein gefangen sind, und wie unmöglich es ist, unsere Mitmenschen wirklich vollständig zu verstehen – egal, wie nah sie uns stehen, und egal, wie sehr wir das wollen.

Bestes Zitat:

„Uns war klar, dass sie alles über uns wussten – während wir sie niemals ergründen würden.“

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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