The Wombats – „Fix Yourself, Not The World“

Künstler*in The Wombats

The Wombats Fix Yourself, Not The World Review Kritik
eBoy hat das Cover für „Fix Yourself, Not The World“ gestaltet.
Album Fix Yourself, Not The World
Label AWAL
Erscheinungsjahr 2022
Bewertung

In ziemlich genau drei Monaten werden The Wombats in der Londoner O2 Arena spielen, vor 20.000 Zuschauer*innen. Das ist beeindruckend genug für eine Band, die fast 20 Jahre zuvor am Liverpool Institute Of Performing Arts gegründet wurde – einer Talentschmiede, die Acts wie Circa Waves, Stealing Sheep oder Her’s hervorgebracht hat, aber eben auch Legionen von Möchtegern-Stars, die es nie zu irgendetwas gebracht haben, schon gar nicht zu einer jahrzehntelangen Karriere, die Frontmann Matthew „Murph“ Murphy, Bassist Tord Øverland Knudsen und Schlagzeuger Dan Haggis heute mit ihrem fünften Album Fix Yourself, Not The World fortsetzen.

Noch ein bisschen erstaunlicher wird an diesem Tag, wenn die Pandemie-Bedingungen denn tatsächlich eine Show in dieser Größenordnung erlauben sollten, der Blick ins Publikum sein. Dort werden sich natürlich Fans der ersten Stunde tummeln, die 2007 das Debüt A Guide To Love, Loss & Desperation gefeiert und zu Hits wie Kill The Director getanzt haben. Aber es wird auch viele Menschen geben, die damals allenfalls im Grundschulalter waren. Eine neue Generation, die wohl niemand erwartet hätte, der The Wombats stets nur als leicht alberne Tanzkapelle für die Indie-Disco betrachtet hat: Mehr als die Hälfte ihrer Spotify-Hörer sind derzeit jünger als 24 Jahre.

Das hat zwei Gründe. Der erste ist ein Remix von Greek Tragedy (vom 2015er Album Glitterbug), der zuletzt ein Hit bei TikTok wurde und somit viele User*innen auf das Trio aufmerksam machte. „Wir haben es nicht immer einfach gehabt, aber wir haben uns immer auf das Wesentliche konzentriert, und das zahlt sich aus“, sagt Murph nicht ohne Stolz. „Ich dachte, wir würden für immer in dieser Indie-Rock-Phase Mitte der 2000er bleiben, und jetzt kommen plötzlich Schwärme von jüngeren Leuten zu uns und entdecken auch die älteren Sachen.“

Das führt zum zweiten Grund. Natürlich sind die Wombats in einer Zeit groß geworden, die mit Bloc Party, den Arctic Monkeys oder Maximo Park viele wundervolle britische Indie-Bands hervorgebracht hat. Der Appeal des Trios reichte aber stets schon über Trends und Genres hinaus. Die Kombination aus tollen Melodien, einem energischen Sound und Texten, die im Gegensatz zu dieser oft einnehmend-heiter wirkenden Verpackung voller Ängste, Zweifel und Kopfschütteln über die Welt und unser Miteinander stecken, ist nichts weniger als zeitlos attraktiv.

Das beweist auch Fix Yourself, Not The World mit schlicht und ergreifend sehr überzeugenden Rocksongs wie People Don’t Change People, Time Does oder dem umwerfenden If You Ever Leave, I’m Coming With You, das packend, catchy und hoch romantisch wird – auch wenn der Titel eher nach einem beängstigenden Stalker klingen mag. Don’t Poke The Bear hat einen kraftvollen Shuffle-Beat, der auch zu Kasabian oder den Fratellis passen würde, und zeigt, dass sich diese Band auch ihren Humor bewahrt hat. Der Album-Auftakt You Flip Me Upside Down ist lebendig, reflektiert und unternehmungslustig, der Refrain klingt wie wild gewordene Fanz Ferdinand, zwischendurch hingegen scheinen sich The Wombats in einen Chor von Engeln verwandelt zu haben.

Zugleich zeigt ein Song wie Wildfire, das Murph an seine Ehefrau richtet, wie sehr das Trio auf Fix Yourself, Not The World neue Elemente integrieren will, und wie gut das gelungen ist. In diesem Fall sind es deutliche R&B-Elemente, zugleich kann man aus der sehr hohen Gesangsstimme die Faszination für diese Frau heraushören, zu der wohl auch ein bisschen Angst vor ihr gehört. „Bevor wir angegangen haben, hatten wir etwas im Stile von David Byrne im Sinn: eine ordentliche Portion Blechbläser trifft auf LCD Soundsystem“, verrät Murph. „Alles sollte maximal echt und organisch bleiben und nicht mit allen möglichen Zutaten zugeballert werden. Am Ende haben wir es dann doch wieder zugeballert, ich werde das einfach nicht los. Es ist großartig, aber wir haben wieder alles Mögliche hineingepackt.“

Ein bisschen vom ursprünglichen Konzept, vor allem die Bläser, kann man noch in Ready For The High erkennen, das durch die Härte der instrumentalen Passagen zudem keinen Zweifel daran lässt, dass man es hier weiterhin mit einer Rockband zu tun hat. In Worry, das Ängste, Spleens und Neurosen besingt (“Es blickt in den Kopf von jemandem, der gerade ein bisschen durchdreht“, sagt Murph) kann man gut die DFA-Vorbilder identifizieren.

Auch Schlagzeuger Dan Haggis stellt heraus, dass Fix Yourself, Not The World weit von Business as usual entfernt ist. „Wir haben neue Genres erkundet und uns musikalisch weiter entwickelt als je zuvor“, sagt er. Die Platte sei auch deshalb besonders, „weil wir sie in drei Städten während eines Lockdowns aufgenommen haben und wir nicht alle zur gleichen Zeit im selben Raum waren“. Die Bandmitglieder haben von ihren jeweiligen Wohnorten (Los Angeles, Oslo und London) aus nach einem täglich per Zoom miteinander besprochenen Plan aufgenommen und die Ergebnisse dann zwecks Vollendung an die Produzenten geschickt, zu denen Jacknife Lee (U2, The Killers), Gabe Simon (Dua Lipa, Lana Del Rey), Paul Meaney (Nothing But Thieves), Mike Crossey (The 1975) und ihr langjähriger Kompagnon Mark Crew gehören. Diese Arbeitsweise betrachtet Murph im Rückblick als „den puren Wahnsinn. Dan und Tord können wie Feuer und Eis sein, und die Tatsache, dass ich abwesend und nicht erreichbar war, hat die Dinge noch verrückter gemacht, als sie hätten sein müssen. Ich würde das nicht zur Nachahmung empfehlen.“

Die Beiträge seiner beiden Bandkollegen sind in der Tat auch für dieses Album sehr prägend. Everything I Love Is Going To Die ist einer von vielen Songs, die beweisen, wie wichtig der Bass für den Appeal dieser Musik ist. Begleitet von einer The-Cure-Gitarre und einer großartigen Melodie gibt es darin die schöne Botschaft, dass man den Moment genießen soll – schließlich weiß niemand, wie lange er (oder unser Dasein auf der Erde überhaupt) währen wird. „Ich lerne vielleicht gerade, mir nicht mehr so viele Vorwürfe zu machen“, sagt Murph zur Idee hinter diesem Lied. „Wir haben nur eine begrenzte Zeit in unseren lächerlichen Hüllen, und wir sollten versuchen, das auszukosten. Auf dem ganzen Album geht es darum, dass wir nicht danach streben sollten, irgendetwas zu kontrollieren, sondern einfach komplett loslassen.“

Das wird im Falle von This Car Drives All By Itself schon im Songtitel deutlich. „Ich dachte, das sei eine gute Art zu sagen: Wir rudern, aber das Universum steuert“, sagt Murph. Obwohl hier auf der Schlagzeug-Spur ziemlich verrückte Dinge passieren, hat das Stück einen sehr direkten und kraftvollen Groove, ohnehin täuscht die Wiederholung des recht einfachen Refrains beinahe über die Komplexität des Songs hinweg. Auch Method To The Madness handelt vom Akzeptieren des Unvermeidlichen. Inspiriert von seinen Flitterwochen in Barcelona singt Murph hier von der Entscheidung “to fuck my sadness”. Der Song hat eine extrem reizvolle Melancholie, die Perspektive ist zugleich verloren und entschlossen, diesen Zustand nicht länger hinzunehmen – und mit der Spannung am Ende wächst auch das Aufbegehren, bis hin zur Befreiung.

Diese Verbindung von Innen- und Außenleben hat dem Album nicht zufällig den Titel verliehen (der knappe Titelsong Fix Yourself, Not The World beschließt die Platte wie eine Meditation). „Die Pandemie und all die sozialen Umwälzungen haben gezeigt, dass das Mächtigste, was ich als Mensch tun kann, darin besteht, den Kampf mit mir selbst aufzunehmen, anstatt einen Kampf gegen die Außenwelt zu führen“, erklärt Murph. „Es gab diese Jungsche Theorie, die besagt, dass, wenn man etwas in sich selbst oder in seinen Handlungen ändert, man sofort etwas in der Gesellschaft als Ganzes verändert.“

Das erklärt auch die Hintergründe von Work Is Easy, Life Is Hard, das am stärksten elektronisch geprägt ist und zugleich asiatische Klänge zu integrieren scheint, sodass etwas wie Exotic Big Beat entsteht. Mit Zeilen wie “Why don’t you chop my tongue out?” oder “You don’t speak for me” verweist Murph darauf, dass insbesondere in Social Media die Fähigkeit abhanden kommt, sich jenseits von extremen Positionen und stark polarisierten Debatten auszutauschen. „Du bist entweder für uns oder gegen uns“, umschreibt er dieses Phänomen. „Es wäre vielleicht hilfreich, wenn wir unser eigenes Weltbild individuell entwickeln und richtig darüber reden würden, anstatt den Leuten eine Ideologie in den Hals zu drücken oder Leute zu canceln, weil sie nicht mit uns übereinstimmen. Es wird keine Konversation entstehen, wenn wir nicht in der Lage sind, intelligent miteinander zu reden. Und vielleicht sind manche Dinge viel, viel, viel zu komplex, um sie in 280 Zeichen auszudrücken.“

Der Wille, in sich hineinzuhören, die Erkenntnis, dass man dabei Dinge entdecken wird, die man erst einmal verarbeiten und bewältigen muss, und die Überzeugung, dass unsere Mitmenschen wohl auch alle solche Probleme mit sich herumtragen und man ihnen deshalb mit Respekt und Sensibilität begegnen sollte, gehören zum Markenkern der Wombats. Sie werden auf Fix Yourself, Not The World noch konsequenter formuliert, mit einem noch vielfältigeren Sound. Diese Charakteristika sind natürlich ebenso wichtig für die Renaissance der Band wie der virale TikTok-Zufall. „Ich denke, für mich ist es eine Kombination aus harter Arbeit und der Tatsache, dass wir textlich und musikalisch immer das gemacht haben, was uns gefällt“, schildert Murph seine Interpretation des eigenen Erfolgskonzepts. „Ich habe nie versucht, irgendetwas aus kommerziellen Gründen abzuschwächen. Ich mag schräge, seltsame Texte, verrückte Titel oder seltsame Konzepte für Songs. Lieder zu schreiben, die sofort zugänglich und offensichtlich sind, wird niemals mein Ding sein.“

Fürs Video zu This Car Drives All By Itself haben die Wombats wohl ein Toys’R’Us geplündert.

Website der Wombats.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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