Die beiden Menschen, die vor mir am Einlass sind, sind ziemlich typisch für das Publikum an diesem Abend. Ein Pärchen, knapp 40, sehr vorfreudig. Sie bekommen an der Abendkasse gelbe Bändchen für die Aftershowparty. Das Konzert von Thees Uhlmann im Werk 2 in Leipzig hat da noch gar nicht angefangen, aber dieser Moment ist trotzdem vielleicht der Schlüssel dafür, warum es so viel Spaß macht, diesen Musiker live zu erleben. Denn das ist dann doch ein bisschen erstaunlich: Thees Uhlmann gibt eine Aftershowparty. Nach einem Konzert in Leipzig, das nicht ganz ausverkauft ist, an einem Donnerstagabend, für ein Publikum, das am nächsten Morgen größtenteils wohl Jobs zu erledigen und Kinder zu versorgen hat.
Das zeigt vor allem: Dieser Typ hat gerade richtig Bock auf seine Musik. Dass er eine neue Band hat (insgesamt stehen sieben Leute auf der Bühne, und Thees Uhlmann betont immer wieder, wie sehr er sich an dieser neuen Unterstützung aus halb Europa erfreut), trägt sicher dazu bei. Dass das aktuelle Album auf Platz 2 in den deutschen Charts eingestiegen ist, dürfte ihn weiter beflügelt haben. Vor allem aber kann man im Werk 2 wieder einmal erleben: Dieser Typ ist bekloppt, auf maximal positive Weise, und er kann sich sagenhaft zuverlässig an sich selbst und seinen Liedern begeistern.
Genau dieser Effekt überträgt sich dann aufs Publikum: Es gibt reichlich Scheiße da draußen, es gibt Nazis, Umweltverschmutzung und Liebeskummer. Aber wir können uns entschließen, das zu überwinden, am besten gemeinsam. Auch, wenn alle so tun, als wären sie allein (im Saal und auf der Welt), machen diese Lieder immer wieder klar: Wir müssen uns nicht fremd sein. Wir können aufeinander zugehen.
Harmonie, Nostalgie (vier Songs von seiner früheren Band Tomte erklingen, die durchweg frenetisch bejubelt werden) und Identifikation sind deshalb die prägenden Faktoren für dieses Konzert. Der wunderbare Grillmaster Flash hatte den Abend eröffnet mit einer Viertelstunde von seinem Stadionrock für Orte, in denen es gar keine Stadien gibt. Danach liefert Thees Uhlmann (der irritierenderweise ein Outfit trägt, das auch zu Grönemeyer passen würde) satte zwei Stunden lang vollen Einsatz, inklusive neun der zwölf Lieder von Junkies & Scientologen. Die Band spielt erstmals überhaupt Ein Satellit sendet leise live, eine Weltpremiere ist angeblich auch, dass der 45-Jährige erstmals den Rap in Jay Z singt uns ein Lied alleine und vollständig schafft, was sofort für Szenenapplaus sorgt.
Nach einer guten Stunde gönnt er sich weißes Handtuch, wie ein Boxer, der sich für den Rest des Fights wappnen und noch einmal eine Schippe drauflegen will. Er dirigiert die Fans in Leipzig am Ende von Zugvögel, baut ein paar Sticheleien gegen Kraftklub ein, positioniert sich gegen Frauenfeindlichkeit in der Musik und im Rest der Welt und erzählt von Maria aus Leipzig, die dafür gesorgt hat, dass 80 Prozent der Texte von Junkies & Scientologen in dieser Stadt geschrieben wurden (und dass Thees Uhlmann den Kaufland am Lindenauer Markt sehr genau kennengelernt hat). Er baut eine Coverversion ein (nicht vom Bonusalbum Gold, sondern Liebeslied von den Toten Hosen) und erzählt dann noch eine sehr amüsante Anekdote darüber, wie er die Düsseldorfer mal in Liverpool getroffen hat.
Die schönste Geschichte des Abends handelt von seiner Mutter, und sie bestätigt die These, dass Thees Uhlmann diese Rock’N’Roll-Sache so sehr genießt, weil sie ihm selbst so sehr hilft. Seine Mama hat ihn damals zum ersten Mal bei einer Show in Hamburg erlebt, berichtet er, und kam dabei ins Gespräch mit seinem Manager. Ein wenig schämte sich Frau Uhlmann womöglich für den Junior, als sie feststellte: „Ein bisschen exaltiert ist er schon, oder?“ Der Manager indes erwiderte: „Aber sehen Sie doch, wie glücklich er dabei ist!“ Am Ende waren sich beide einig: Dieser Thees, das ist ein guter Junge. Wer im Werk 2 dabei war, wird das sofort unterschreiben.
Die komplette Setlist des Konzerts in Leipzig:
1 Fünf Jahre nicht gesungen
2 Danke für die Angst
3 Die Toten auf dem Rücksitz
4 Zugvögel
5 Jay Z singt uns ein Lied.
6 Das Mädchen von Kasse 2.
7 Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach HipHop-Videodrehs nach Hause fährt
8 Was wird aus Hannover
9 Ich sang die ganze Zeit von dir (Tomte)
10 Lat: 53.7 Lon:9.11667
11 100.000 Gitarren
12 17 Worte
13 Liebeslied (Die Toten Hosen-Cover)
14 Ein Satellit sendet leise
15 Junkies & Scientologen
16 Katy Grayson Perry
17 Vom Delta bis zur Quelle
18 Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf
Z1 Korn und Sprite (Tomte)
Z2 Schreit den Namen meiner Mutter (Tomte)
Z3 Avicii
Z4 Römer am Ende Roms
Z5 Die Nacht war kurz
Z6 Die Schönheit der Chance (Tomte)