Tim Bendzko – „Filter“

Künstler Tim Bendzko

Tim Bendzko Filter Review Kritik
Ein Jahr lang hat Tim Bendzko an den Liedern auf „Filter“ gearbeitet.
Album Filter
Label Jive
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Zu den 3,4 Millionen Abonnenten, die Marie Kondo bei Instagram hat, zählt höchstwahrscheinlich auch Tim Bendzko. Er hat jedenfalls im vergangenen Jahr in seinem Leben tüchtig ausgemistet und viele Dinge neu geordnet, wie er sagt, „in allen denkbaren Dimensionen“. So ist auch der Titel seines vierten Albums zu verstehen. Ein Filter lässt nur das durch, worauf es ankommt – und genau das will der Berliner für seine 13 neuen Lieder umsetzen.

Das klingt nach Neuanfang, Statement und nächstem Level, und der Auftakt bestätigt diesen Eindruck sogleich. Jetzt bin ich ja hier lauten Titel und Botschaft des ersten Songs, und Tim Bendzko kommt auch da, wenn man es gut mit ihm meint, als derjenige rüber, der die Dinge in Ordnung bringt. Meint man es weniger gut, könnte man auch den Eindruck haben, er wolle sich hier als Erlöser mit Hang zur Märtyrer-Pose inszenieren, passenderweise unterstützt von einem mächtigen Beat und einem Chor. Vor allem aber verweist das Bild mit dem Aufräumer auf das Kernproblem seiner Musik: Filter ist sagenhaft konservativ, es handelt sehr häufig von der Suche nach Sicherheit und Gemeinschaft. An deiner Seite, das letzte Lied des Albums, ist so ein Moment, der bedingungslosen Beistand zugleich anbietet und einfordert, auch in Für immer ist dies das Thema: Der Sänger kokettiert darin mit Mittellosigkeit, die allerdings durch ein großes Herz kompensiert werden kann und damit die Angebetete für ihn gewinnen soll: „Ich weiß, es ist nicht viel, aber für immer.“

Natürlich sind Treueschwüre keine Seltenheit in Liebesliedern. Bei Tim Bendzko werden sie trotzdem ärgerlich, denn sehr häufig appellieren sie hier an niedrigste Instinkte. Seine Protagonisten sind oft, wie eben auch in Für immer, in einer defizitären Position. Praktisch nie lautet die Lösung aber: Sei kritisch, hinterfrage die Welt, ermächtige dich selbst. Stattdessen: Höre auf dein Herz, sei duldsam, vertraue in irgendetwas, obwohl du es nicht richtig verstehst. Das sanfte Nur wegen dir ist das beste Beispiel dafür: Die ersten Zeilen „Komm, wir übertreten die Grenze / komm, wir stellen uns gegen den Strom“ könnten für eine Protesthaltung stehen, doch das erweist sich schnell als Trugschluss, denn danach wird das Lied musikalisch und textlich sagenhaft seicht. Wieder obsiegen diffuse Ängste (hier: zitternde Hände) und unkontrollierbare Emotionen (das Herz „untergräbt und überschlägt sich“) über den Verstand, der womöglich tatsächlich einen Ausweg anbieten könnte. Notfalls bleibt die Option, einfach abzuhauen wie in Nie mehr zurück mit seinem Traum davon, alle Probleme auf dem Weg in die Ferne hinter sich zu lassen.

„Es ist mein ganz eigener Blick auf die Dinge“, sagt der 34-Jährige über Filter, zudem hat er erkannt: „Wenn man Songs übers Leben schreibt, sollte man auch eins haben.“ Das ist das übliche Authentizitäts-Versprechen im Deutschpop, auch wenn es hier genauso fragwürdig ist wie anderswo. Denn erstmals hat Tim Bendzko für diese Platte mit anderen Textern zusammengearbeitet, wichtigster Partner dabei war Julian von Dohnanyi, der beispielsweise auch schon für Noah Levi tätig war. Produziert wurde die Platte von Timothy Auld und Benedikt Schöller (Truva Music), die auch etliche Credits für die Kompositionen bekommen.

Gemeinsam fabrizieren sie Murks wie Laut, das zu maximal pompösem Sound verlangt: „Mach die Musik richtig laut / damit ich was fühle.“ Vielleicht thematisiert das allseits bekannte Sich-nicht-festlegen- und Immer-eine-Hintertür-offenhalten-Wollen. Praktischerweise tut der Sound genau dies nicht, sondern geht maximal auf Nummer sicher auf dem Weg ins Formatradio. Freier Fall (mit Milow) wird krude und berechnend, Dieses Herz (da ist es schon wieder) erzählt von Rastlosigkeit und Selbstinszenierung, ohne jemandem wehzutun. Ein Tiefpunkt ist Nicht genug mit einem überflüssigen Gast-Rap von Kool Savas. Auch hier geht es ums Filtern, allerdings im Instagram-Sinne, also um das Optimieren, um in einem möglichst guten Licht zu erscheinen. Umgesetzt wird das mit südländischen Klängen, die kein bisschen zu den (zudem gezwungenen) Metaphern vom Weltall passen, die das Lied tragen sollen und für reichlich Peinlichkeiten sorgen. Da soll sich „genug“ auf „Saturn“ reimen und „zählte“ auf „Stratosphäre“ – man mag kaum glauben, dass tatsächlich mehrere Menschen dafür bezahlt wurden, so etwas zu dichten.

Leise ist der einzige Moment, der halbwegs überzeugt: Das Lied erzählt in einem akustischen Arrangement mit Streichern und Bläsern von einem Helden, der nicht gefallen ist, aber vollkommen leer. Auch Trag dich schafft es, zumindest bei den sehr geringen Ansprüchen, die man hier haben kann, auf die Habenseite. „Dass ich drüber hinweg bin, heißt nicht, dass ich dich vergess’“, lautet die zentrale Zeile. Dass das sowohl bei der Trauer um Verstorbene funktioniert als auch bei Liebeskummer (oder Racheglüsten) in Bezug auf eine/n Ex, macht den Appeal dieses Lieds aus.

Bezeichnenderweise macht auch die Single Hoch sehr deutlich, woran es hier mangelt: Identität, Courage, Witz. Das Lied soll Mut machen und zum Weitermachen motivieren in Momenten, in denen man kurz vorm Aufgeben ist. „Wenn ich glaube, meine Beine sind zu schwer / dann gehe ich noch 1000 Schritte mehr“, heißt eine Zeile, und der Sänger erklärt dazu: „Es sind doch genau diese letzten Meter, die nicht mehr zu gehen scheinen, an die man sich später erinnern wird, ist man sie dann doch gegangen.“ Ironischerweise kann man das Lied, auch wegen seines hektischen und dringlichen Sounds, aber auch als Warnung für Leute verstehen, die auf dem besten Weg ins Burn Out sind. Auch hier fehlt es wieder an Substanz und Reflexion. „Der Grund, warum ich Musik machen wollte, war nie, bloß einen Zweck zu erfüllen“, sagt Tim Bendzko. Doch was stattdessen der Grund war, beantwortet er nicht – und Filter lässt diese Frage erst recht offen.

Ein seltener Lichtblick: das Video zu Trag dich.

Die Tourdaten von Tim Bendzko:

So, 17.05.2020 Hannover
Mo, 18.05.2020 Köln
Di, 19.05.2020 Hamburg
Do, 21.05.2020 Frankfurt
Fr, 22.05.2020 Leipzig
So, 24.05.2020 Wien
Mo, 25.05.2020 München
Di, 26.05.2020 Zürich
Do, 28.05.2020 Stuttgart
Fr, 29.05.2020 Münster
Sa, 30.05.2020 Berlin

Website von Tim Bendzko.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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