Künstler | Tim Burgess | |
Album | I Love The New Sky | |
Label | Bella Union | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
Der erste Schock ist das Covermotiv von I Love The New Sky. Tim Burgess, der in wenigen Tagen seinen 52. Geburtstag feiern wird, blickt uns da an und sieht aus wie ein Lausbub, der allenfalls halb so alt ist. Was der Jungbrunnen des Charlatans-Sänger ist, zeigt sein heute erscheinendes fünftes Soloalbum sehr deutlich: Es ist die Musik.
„When the music starts / it will fill your heart“, heißt eine Zeile in Timothy, in dem später auch die Erfahrung „Oh those songs / make us strong“ geteilt wird. Only Took A Year bewegt sich in Richtung Kammer-Pop und erweist sich als ein Lied (auch) übers Songschreiben. Comme D’Habitude ist trotz des französischen Titels sehr britisch und trotz der darin enthaltenen Behauptung von Trott und Routine durchaus inspiriert. „Closing the door on all the dangers“, heißt ein Vers darin, und der macht ebenfalls klar: Auch ein Popsong ist für Tim Burgess so ein Idyll und Refugium.
Zur kindlichen Begeisterung, die sich bei ihm immer wieder erkennen lässt, passt auch Warhol Me. Die erste Zeile darin heißt „I see colours you can’t see“, und in der Tat scheint das eher auf „Ich sehe was, was du nicht siehst“ bezogen zu sein als beispielsweise auf einen Drogentrip, auch wenn das Stück im langen Outro aus Synthesizern und Feedback noch psychedelisch wird. Noch grundsätzlicher werden die Bereitschaft zu Euphorie und der Wille zum Optimismus in I Got This. „The future is friendly”, lautet darin die sehr absolut formulierte Quintessenz. „Jeder macht in seinem Leben schwere Zeiten durch. Und die Zukunft ist ungewiss. Aber man muss diese optimistische Einstellung haben, etwa morgens aufzuwachen und das Gefühl zu haben, dass es ein guter Tag wird“, sagt Tim Burgess. Unterlegt wird das in diesem Fall mit viel Groove, Drive und der richtigen Dosis an Erkenntnis der Ambivalenz in vielen Dingen, um all den Frohsinn nicht naiv erscheinen zu lassen.
Die Liebe zur Musik war auch die treibende Kraft für die recht ungeplante Entstehung von I Love The New Sky. Sie führte auch dazu, dass Tim Burgess, anders als bei den Vorgängern, diesmal alles selbst geschrieben hat. „Früher hatte ich immer Songwriting-Partner“, sagt er. Bei Oh No I Love You (2012) war es Kurt Wagner (Lambchop), bei Same Language, Different Worlds war es Peter Gordon. Für das zum Record Store Day 2018 veröffentlichte (aber schon zehn Jahre vorher aufgenommene) As I Was Now brachte Tim Burgess unter anderem Josh Hayward (The Horrors), Martin Duffy (Primal Scream), Debbie Googe (My Bloody Valentine) und Ladyhawke zusammen. Die Tour zu dieser Platte weckte in ihm dann die Lust auf neue Songs: „Ich spürte viel Energie und dachte: Ich mache ein neues Album und konzentriere mich darauf, es diesmal wirklich zu einer Soloplatte zu machen, wo ich alleine schreibe und das Beste in die Songs packe, was in mir steckt.“
Aufgenommen wurde die Platte in sehr abgeschiedener Lage in Norfolk. „Der nächste Laden war acht Meilen entfernt, es gab keinerlei Ablenkung. So kommen die Dinge wohl ins Laufen. Ich habe alles auf einer akustischen Gitarre geschrieben, die Gitarrenfiguren führten dann die Melodien, und die Melodien inspirierten die Texte”, beschreibt Tim Burgess die Arbeitsweise. Als Einflüsse für I Love The New Sky benennt er Isaac Hayes, Olivia Tremor Control, Carole King, Todd Rundgren, John Maus, Weyes Blood und Kevin Ayres, als Mitstreiter sind unter anderem Charlatans-Kollege Mark Collins dabei, der bei zwei Stücken die Gitarre spielt, und Daniel O’Sullivan (Grumbling Fur), der Bass, Schlagzeug und Klavier beisteuert.
Empathy For The Devil eröffnet die Platte betont spontan, organisch und leicht, aber mit großer Bestimmtheit im Refrain und einem aufwändigen Arrangement. Das niedliche Sweet Old Sorry Me hätte gut in die frühen 1970er gepasst, das verspielte Sweetheart Mercury offenbart viel Freude am Erkunden der Möglichkeiten seines Gesangs. Das elegante Lucky Creatures ist typisch für I Love The New Sky: Der Song lebt von vielen kleinen Details, die eher beim zweiten und dritten Durchlauf aufhorchen lassen, als von plakativen Elementen oder unmittelbar Zündendem, obwohl Glocken, Streicher und Marschkapelle-Trommeln durchaus großes Kino spielen.
The Mall packt eine Alltagserfahrung in Liedform, beruhend auf einer Begegnung im Boots am Piccadilly Circus. „Ich liebe es dort. Es ist, als ob die ganze Welt an einem Ort passiert. Ich nehme diese kleine Idee und habe versucht, daraus etwas Universelleres zu machen“, sagt Tim Burgess. Mit zwei sehr starken Songs zum Schluss schafft I Love The New Sky noch den Sprung von „sehr nett“ zu „wirklich gut“: Die extrem schöne Klavierballade Undertow ist das beste Lied der Platte. Laurie richtet mehr Fokus auf den Rhythmus und entwickelt dadurch mehr Präsenz, zudem wartet der Song mit dem besten Refrain der Platte auf, der für ein ordentlich hymnisches Finale genutzt wird. Die letzte Zeile darf man wohl auch als Motto für die nächsten Schaffensjahre von Tim Burgess betrachten: „All that is important is that you’re still dreaming.“