Künstler*in | Tim Neuhaus | |
EP | Echoes Vol. 1 | |
Label | Grand Hotel van Cleef | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
So kann man die Pandemie-Zeit natürlich auch nutzen: einfach mal schauen, was so liegen geblieben ist, weil man sich nie darum kümmern konnte. Die Reparatur des alten Fahrrads, das Neusortieren des Bücherregals, die Steuererklärung von 2017. Beim Tim Neuhaus fand sich „nach der anfänglichen Schockstarre während des Lockdowns“, wie er sagt, auf dieser Corona-Bucket-List ein Vorhaben, das er schon lange im Sinn hatte: ein ganzes Konzert, nur mit Coverversionen. Tatsächlich konnte er diese Idee im vergangenen Dezember im Knust in Hamburg umsetzen, die Show wurde damals per Livestream übertragen. „Ich habe die Songs gespielt, die mich inspiriert haben, selbst Songs zu schreiben – und davon gibt es viele! Immer wenn ich meine eigene Musik schreibe, tut es gut viel zu covern. Um von anderen zu lernen und seine eigenen Songs im Großen und Ganzen besser einschätzen zu können“, sagt er.
Da ist es – zumal die Corona-Situation die Verbreitung von eigenem Material weiterhin stark einschränkt – naheliegend, dieses Konzept auch gleich ins Studio zu übertragen. Genau das geschieht mit der Echoes-Reihe. Tim Neuhaus huldigt seinen musikalischen Held*innen, jede Folge hat einen eigenen thematischen Schwerpunkt. In diesem Fall interpretiert er „ein paar meiner (männlichen) musikalischen Helden von früher“ neu, in acht Liedern.
Dass man den aus Hagen stammenden Musiker hier deutlich ruhiger erleben kann, als das sonst bei ihm üblich ist, macht schon Streets Of Philadelphia (1994 ein Hit für Bruce Springsteen) als Auftakt deutlich. Neuhaus, studierter Schlagzeuger, lässt ausgerechnet den markanten Beat der Vorlage weg, so wirkt das Lied viel introvertierter, und das sehr geschmackvolle Arrangement unterstreicht diesen Effekt dezent. Seine Interpretation von Thinking About You (Radiohead) wird erstaunlich zugänglich, bei Daydream (Smashing Pumpkins) bewahrt er die Romantik und nimmt, unter anderem durch ein seltsames Störgeräusch, die Blasiertheit heraus.
Alles in allem sind die Neuinterpretationen brav und respektvoll, trotzdem hat Echoes Vol. 1 kein Geschmäckle von Vanity-Project. Erstens sind die Songs tatsächlich so etwas wie Echos, fast immer kann man erkennen, dass sie einst etwas mit diesem Künstler gemacht haben, dann in ihm nachhallten und nun, verändert durch diesen Aufenthalt in Kopf, Körper und Seele eines anderen Menschen, in (leicht) veränderter Form wieder nach außen dringen. Zweitens nutzt Tim Neuhaus die EP auch als Möglichkeit, während des erzwungenen Social Distancings in Kontakt mit Freunden und im künstlerischen Austausch zu bleiben, wenn auch nicht persönlich, sondern über digitale Kanäle. „Es wurde viel geskypt und telefoniert. So ergab sich eine zweimonatige Verbundenheit durch dieses Projekt. Absolut notwendig für mich in dieser Zeit“, erzählt Neuhaus.
So hat er Northern Sky per Overdub-Austausch mit der aus Florian Holoubek, Friedrich Störmer und Andi Fins bestehenden Band eingespielt, mit der er vor zehn Jahren sein Debütalbum The Cabinet aufgenommen hatte, und mit der er aus Anlass des Jubiläums im März eigentlich auf Tour gehen wollte. Das Lied lebt, genau wie das Original von Nick Drake, von einer himmlisch schönen Atmosphäre und zeigt zudem eine faszinierende Ähnlichkeit der Stimme. Auch Colorblind (Counting Crows) glänzt mit sehr gefühlvollem Gesang. Anne deWolff stattet You’ve Got A Friend In Me (ursprünglich von Randy Newman) mit einem geradezu spektakulären Streicher-Intro aus, zudem baut Tim Neuhaus hier ein paar erfreuliche Ecken und Kanten ein, die das Lied vor zu viel Gefälligkeit bewahren.
In Everything Means Nothing To Me (Elliott Smith) kommt seine Stimme an die Grenze ihrer Belastbarkeit – gerade das stärkt den verletzlichen Charakter des Songs. Die akustische Interpretation von In Your Honor (Foo Fighters) funktioniert ebenfalls erstaunlich gut und betont die melodiöse Stärke des Songs, auch Spannung und Kraft bleiben erhalten, unter anderem durch die wilden Percussions gegen Ende. Da kommt dann schließlich doch noch der Schlagzeuger in Tim Neuhaus durch, der hier durchweg auch als Sänger, Interpret und Arrangeur souverän agiert. Die Fortsetzung der Reihe ist bereits in Arbeit.