Künstler | Tom Liwa | |
Album | Ganz normale Songs | |
Label | Grand Hotel van Cleef | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Es ist der letzte Einsatz für den Astronauten Matt Kowalski, bevor er in den Ruhestand gehen soll. Doch ausgerechnet diesmal läuft alles schief: Trümmerteile eines Satelliten zerstören erst das Shuttle, mit dem er ins All geflogen ist, dann die Raumstation, auf die er sich zu retten versucht. So bleibt Kowalski, gespielt von George Clooney, in rund 400 Kilometern Höhe ganz allein zurück und kann nur noch warten, bis der Sauerstoffvorrat in seinem Raumanzug aufgebraucht ist.
So wie Matt Kowalski, eine Figur aus dem 2013er Kinofilm Gravity, klingt Tom Liwa in Leute, genau in der Mitte dieses Albums. Er spricht als jemand, der ganz allein und ganz weit weg ist und denkt dabei an seine Gefährten „auf der anderen Seite des Himmels“. Entfernung und Entfremdung sind seine Themen – auch in den meisten anderen Liedern dieser Platte. Tom Liwa nimmt auf Ganz normale Songs ebenso wie Matt Kowalski einen fundamentalen Wandel wahr und erkennt: Es gibt kein Zurück mehr ins Gestern.
Meistens ist ein Lied, das (nicht nur wegen des in beiden Fällen zum Einsatz kommenden Frauenchors) sehr deutliche Parallelen zu dieser Perspektive aufweist. „Aber meistens war’s geil“, heißt es darin beim Rückblick auf einen Lebensabschnitt, wobei nicht klar wird, wie lange dieser zurückliegt oder wodurch er beendet wurde. Noch weniger glaubwürdig wird diese Beteuerung durch die säuselnden Frauenstimmen und vor allem durch die Tatsache, dass kein einziges konkretes Argument benannt werden kann, warum „es“ nun „geil“ war. In Feuer geht es, begleitet von Quasi-Country, um das Konstante und Ewige, dem unsere eigene Veränderung, sogar unser Altwerden und Vergehen, schockierend egal ist. Dope stellt den Maler, Schriftsteller, Sänger und Gitarristen zu leicht psychedelischem Folk als ein Glied in die Kette der Generationen. OK weiß um die Bedeutung von Einsicht und Nachsicht und kommt damit zur Schlussfolgerung: Man kann nicht fehlerfrei sein, auch nicht in einer noch so guten, bedeutenden und harmonischen Beziehung.
Als „Tom Liwas wundervoll zarte Umarmung der Zeit von seiner Geburt bis heute, sowohl des Lebens, wie er es geführt hat, als auch des Lebens, wie es ihn geführt hat“, bezeichnet Kristof Schrauff im Presseinfo Ganz normale Songs. Das ist hübsch getroffen, denn auf seinem 25. Album (wenn man die Werke mit dem Tim Isfort Orchester, dem Paradies der Ungeliebten und den Flowerpornoes mitzählt) ist Liwa natürlich erfahren wie nie, zugleich ist ihm jugendliche Selbstüberhöhung fremd. Schuld eröffnet die Platte mit einem Blick auf seine Kindheit, die Musik wirkt dabei wie ein Sedativum, der 56-Jährige klingt zugleich versehrt und isoliert. Er habe dem Monster sein Herz geschenkt, singt er, „und wer dem Monster sein Herz schenkt, ist selber schuld“. Was soll mit diesem Monster gemeint sein? Die Großstadt? Die Kunst? Das Musikgeschäft? Vielleicht bloß die Hoffnung, am Ende könne alles gut werden?
Solche Fragen bleiben natürlich offen auf der von Tobias Levin produzierten Platte, an der als Gäste auch Omar Gudjonsson (ADHD), Pola Lia Schulten (Zucker), Theresa Stroetges (Golden Disko Shop) und diverse Mitglieder der Flowerpornoes mitgewirkt haben. In Unisex besingt Liwa „Unisex girls and boys“, störrisch und akustisch. Yoga wird zugleich asiatisch und irisch, baut das Morgenmantra des Wassermannzeitalters ein (angeblich, ich kenne mich mit so etwas nicht aus) und ist auf jeden Fall durchdrungen von ewiger Weisheit und unerschütterlicher Gelassenheit. Ego verströmt als drittes Lied der Platte erstmals etwas Leichtigkeit, vor allem durch den Beat, aber auch durch die rätselhafte Schlichtheit der Aussage „Eine Liebe, ein Ego“ im Refrain.
Witz hat vielleicht seine besten besten Anfangszeilen seit Für die linke Spur zu langsam (2000) zu bieten, sie lauten: „Man kann den Mann kaum unterscheiden von der Mauer / aber vielleicht ist sein Gesicht noch ein kleines bisschen grauer.“ Diese Atmosphäre von bleierner Schwere, Müdigkeit und Unlust ist typisch für das Album ebenso wie der Eindruck von Monotonie, obwohl die Musik nicht monoton ist. Vielleicht steckt dahinter der Gedanke, der auch zum Ende der Platte im impressionistischen Ufo noch einmal angedeutet wird: Es hilft nichts, gegen das Unvermeidliche aufzubegehren – hier ist etwas am Werk, das stärker ist als ich. Bei dieser Einsicht ist durchaus etwas Wehmut dabei, aber noch mehr das Wissen um die Kraft, die man deshalb umso besser konzentrieren kann aufs Aufbegehren gegen das, was sich eben doch ändern lässt und ändern sollte. Schließlich findet Tom Liwa auch dafür eine schöne Weltraum-Metapher: „Die Zeit der Freaks ist vorbei / und ich bin ein Ufo.“