Künstler*in | Torres | |
Album | Thirstier | |
Label | Merge Records | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Man könnte es für eindimensional halten, wenn sich ein ganzes Album auf nur ein Lied, einen Gedanken, sogar eine Zeile reduzieren lässt. Das fünfte Album von Torres (bürgerlich: Mackenzie Scott aus Brooklyn) ist so ein Fall und zeigt zugleich, dass dieses Phänomen keineswegs Ausdruck einer Schwäche ist. Sondern vielmehr ein Zeichen von Konsistenz und Überzeugung.
Thirstier, natürlich der Titelsong dieser mit den Co-Produzenten Rob Ellis und Peter Miles im Frühjahr 2020 in den Middle Farm Studios in Devon, UK, aufgenommenen Platte, ist der Beweis dafür. “The more of you I drink / the thirstier I get”, heißt die zentrale Zeile, und sie steht für den Gedanken, vom geliebten Gegenüber einfach nie genug bekommen zu können, auch dann nicht, wenn man schon seit Jahren zusammen ist und vermeintlich nur noch unspektakulären Alltag gemeinsam erlebt: “Keep me in your fantasies / even though you live with me”, heißt es später. „Wir fantasieren immer von etwas, das unerreichbar ist. Das ist es schließlich, was eine Fantasie ist: etwas, das man nicht haben kann. Aber ich wollte diese Idee umdrehen und fragen: ‚Was wäre, wenn deine Fantasie das wäre, was du hast, diese Endlosschleife der Fantasie?'“, erklärt Mackenzie Scott die Idee hinter diesem sehr erwachsenen Lied, das selbstbewusst wie Pink und intelligent wie Anna Calvi ist. „Es ist eine Möglichkeit, für immer in diesem fantastischen, magischen Reich zu sein. Ich möchte diesen Raum für mich selbst schaffen. Ich möchte eine Realität schaffen, in der mein Alltag tatsächlich meine Fantasie ist. Das wünsche ich mir mehr als alles andere.“
Dieser Ansatz prägt Thirstier auch als Album: Es geht um die Autonomie, die sich erlangen lässt, wenn man eine eigene Perspektive gewinnt. Und um die Möglichkeiten, die entstehen können, wenn man diese Macht nutzt, um etwas Befreiendes zu erschaffen, trotz aller Widrigkeiten. „Ich wollte meine Intensität in etwas kanalisieren, das sich positiv und konstruktiv anfühlt, im Gegensatz zu einer Intensität, die zerstörerisch oder auszehrend ist“, erzählt Scott. „Ich liebe die Vorstellung, dass Intensität tatsächlich etwas Lebensrettendes oder etwas Freudiges sein kann.“
Man hört das gut in Don’t Go Puttin Wishes In My Head, einem klasse Rocksong, der wie eine geerdete Version von Florence & The Machine wirkt. Hand In The Air wird aggressiv, aber nicht plump, als hätte Alanis Morissette nie ihren Biss verloren. Hug From A Dinosaur ist cool, kraftvoll und ausgelassen, sodass man an die Breeders denken kann. Auch, wenn es elektronisch, subtil und tanzbar wird wie in Kiss The Corners oder komplex und rätselhaft wie in Keep The Devil Out, dem Schlusspunkt des Albums, ist die Musik von Torres stets hoch spannend.
Big Leap lebt vom ersten Ton an von seiner vibrierenden, fragilen Stimmung. Drive Me ist in der Strophe hart und roh, schwankt in den anderen Teilen hingegen zwischen soft und vielschichtig. Auch Constant Tomorrowland hat so einen Gegensatz: Die Strophe ist sehr verspielt, im Refrain könnte man es für eine Seventies-Gitarren-Inkarnation von Lady Gaga halten. Are You Sleepwalking? verströmt zu Beginn etwas Grunge-Trägheit, um dann mit einem exotischen Refrain zu überraschen. „I’m gonna chase the answers with you“, singt Scott darin, und das klingt wie das Versprechen eines großen Abenteuers.
„Ich habe diese tiefe, tiefe Freude heraufbeschworen, die ich ehrlich gesagt die meiste Zeit meines Lebens nicht gespürt habe“, sagt die Künstlerin, die als Torres 2013 ihr erstes Album vorgelegt hatte. „Ich fühle mich selbst wie ein Fels in der Brandung. Und ich habe das Gefühl, dass ich das Zeug dazu habe, auch anderen Menschen zu helfen, ihre Freude zu finden.“ Das gelingt mit Thirstier ganz wunderbar: Die Platte vermittelt den Eindruck einer Welt, in der es nie mehr Langeweile und immer nur Leidenschaft gibt.