Künstler | Tortusa | |
Album | Bre | |
Label | Jazzland | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Vielleicht ist es ja einfach physiologisch bedingt, dass ich keinen Jazz mag. Schließlich geht es den meisten Menschen so, hat Soziobiologe Robert Trivers herausgefunden. In seinem Buch Betrug und Selbstbetrug berichtet er über seine Forschungsergebnisse: „Durch Musikhören können sich Stimmungslage und Immunsystem verändern. Die Ergebnisse mancher Experimente hiermit sind fast zu schön, um wahr zu sein.“ Hört man beispielsweise harmlose, friedliche Muzak, steigt die Ausschüttung einer wichtigen Immunsubstanz um 14 Prozent. Bei Jazz hingegen beträgt der Anstieg nur 7 Prozent. Mit anderen Worten: Jazz nervt, und wenn du deiner Gesundheit etwas Gutes tun willst, solltest du ihn lieber meiden.
Der eigentlich Grund für meine Abneigung ist aber: Es muss nicht Muzak sein, aber ich schätze es durchaus, wenn man bei Musik mitsingen, tanzen oder sich emotional triggern lassen kann. Die Idee, alles müsse möglichst freigeistig, virtuos und innovativ sein, hat mir nie eingeleuchtet. Womit wir bei John Derek Bishop sind, der 1985 in den USA geboren wurde, schon eine ganze Weile im norwegischen Stavanger lebt, sich Tortusa nennt und morgen mit Bre sein viertes Album (das zweite als Solokünstler) veröffentlicht. Es gibt darauf Stücke wie die Klangmalerei von Lyset Likevel, die wirkt, als hätte jemand einfach ein Mikrofon in die Landschaft gestellt und die Natur hätte dann ein paar Klänge vorbeigeweht. Oder den Album-Abschluss Ørten: Mein Wasserkocher macht manchmal ähnliche Geräusche, aber ich käme nie auf die Idee, das als Platte zu veröffentlichen.
Ich bin also definitiv der falsche Ansprechpartner, um eine Platte gut zu finden, für die Oneohtrix Point Never, Jan Bang, Brian Eno oder Nils Petter Molvær als Bezugspunkte genannt werden. Ich erkenne aber sehr wohl die Ambitionen von Tortusa in den Disziplinen „freigeistig, virtuos und innovativ“. Er hat drei Jahre an Bre gearbeitet („Meine Titel sollen offen für Interpretationen bleiben. Bre kann ‚Gletscher‘ bedeuten, aber auch ‚sich ausbreiten‘“, verrät er), Field Recordings in Kalifornien und Italien sowie auf 1000 Meter Höhe in den norwegischen Bergen gesammelt und seinen Songs erstmals norwegische Titel gegeben, wofür er sich mit dem Dichter Erlend Wichne ausgetauscht hat. „Es ist ein sehr intimes Album, daher wollte ich, dass das Norwegische eine persönliche Note hinzufügt. Ich wollte, dass die Titel eine Geschichte erzählen – aber nur Teile davon, damit der Hörer sie selbst deuten kann“, sagt Bishop.
Dieses Konzept erkennt man in den zwölf Stücken auf Bre schnell wieder. Immer wieder entstehen Bilder im Kopf, werden Ahnungen evoziert und dann bestätigt oder widerlegt. Im Titelsong zum Auftakt geschieht dies durch ein Saxofon und einen verhuschten, verschleppten Beat. Bristen Ingen Kjente klingt mysteriös, wie aus einer anderen Galaxie oder zumindest aus einem anderen Zeitalter. Preget Uten Minne vereint Klappern, Zirpen, Trudeln, Wehen und Streicheln zu etwas, das vollkommen unberechenbar und dennoch atmosphärisch stimmig wird.
Es ist eines der Stücke auf Bre, für die Tortusa sich sehr namhafte Unterstützung geholt hat, in diesem Fall den Trompeter Arve Henriksen. „Er hat einen distinktiven Sound, der so viele Emotionen hervorruft“, schwärmt Bishop über seinen Kollegen, auch für die weiteren Gäste ist er voll des Lobes. Erland Dahlen („Einer meiner all-time-Lieblingsdrummer, ich schätze seine abstrakte Art, zu trommeln.“) ist unter anderem in Ikke Tale mit von der Partie, ebenso wie Gitarrist Eivind Aarset, mit dessen Werk sich Bishop schon 2016 auf I Know This Place – The Eivind Aarset Collages beschäftigt hatte, was ihm eine Nominierung für einen norwegischen Grammy einbrachte. „Ich liebe seinen satten Sound, er kann mit seiner Gitarre auch Perkussives spielen“, sagt er.
Auch bei Så Oss Altså Ikke wirkt Aarset mit, hier werden ein bisschen Industrial-Härte und Dub angedeutet (in den Rhythmusinstrumenten und im Bass), auch wenn es ebenfalls wieder Momente der Kontemplation gibt. Dahlen ist unter anderem in Noen Må Ha Sagt At Det Er Sant erneut im Einsatz, das so behutsam klingt, als könne der kleinste Windhauch alles zum Einsturz bringen. Henriksen wirkt auch in Ubevegelige mit, das wie ein Stilleben beginnt, dann mit einem Pferdegalopp-Rhythmus überrascht und als Grundlage für sein Hauptmotiv verfremdete Vogelstimmen hat – das Saxofon scheint all das eher wehmütig zu betrachten als wirklich dazuzugehören.
Gå Nå (feat. Svein Rikard Mathisen) erweist sich als Meditation mittels E-Gitarren-Picking, Om Bare (feat. Simen Kiil Halvorsen) kombiniert wieder Vogelzwitschern mit einem Saxofon (das diesmal vergleichsweise mutig und resolut klingt), vielleicht gar mit singenden Gläsern. Auch Like Overfor lebt von seiner Downbeat-Atmosphäre und den Field Recordings. Die ersten Sekunden wirken mit ihrem mächtigen Bass indes wie das Intro für einen Monster-Clubtrack, der dann natürlich nicht kommt. Das wäre ja zu einfach.