Künstler | Travis | |
Album | 10 Songs | |
Label | BMG | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
„Ich schreibe Lieder auf eine ziemlich altmodische Weise“, sagt Fran Healy, Frontmann von Travis. „Ich setze auf dem Bett und schütte meinen Kummer in die Gitarre und auf mein Knie, wie Joni Mitchell es einmal formuliert hat.“ Das gilt auch im 25. Jahr des Bestehens und beim heute erscheinenden 10 Songs, dem neunten Album seiner Band. „Mir persönlich sind zehn Lieder, die von einer Person geschrieben wurden, viel lieber als ein Song, an dem zehn Leuten herumgetüftelt haben. Und wenn es mir so geht, geht es bestimmt auch noch anderen Leuten so“, erklärt er den profanen Albumtitel, der also auch eine Abgrenzung zu Fließband-Songwriting-Teams und Featuring-Wahn ist.
Diese klassische Herangehensweise hat Healy, der hier wieder viel mehr als Autor im Zentrum steht als auf den letzten Travis-Platten, bei denen die Bandkollegen Andy Dunlop und Dougie Payne noch deutlich mehr zu Texten und Musik beigesteuert hatten, unter anderem Lob von Größen wie Paul McCartney, Elton John und Graham Nash eingebracht. Es ist nach wie vor die große Stärke des Quartetts aus Glasgow: Aus einer fast naiven Begeisterung für eine schöne Melodie können sie wundervolle Lieder formen, wie es sie auch auf 10 Songs gibt. Kissing The Wind gehört dazu, der opulenteste und ambitionierteste Moment des Albums, auch Nina’s Song, das von Verlust und Tod handelt und durch viel Leidenschaft, Kraft und Überzeugung in der Stimme so klasse wird.
Dass es der Gesang von Fran Healy ist, der die Musik von Travis im Zweifel so speziell macht, zeigt auch der Album-Auftakt Waving At The Window. Ganz am Anfang dieses Lieds steht ein Trommelwirbel, aber diese Hab-Acht-Atmosphäre hält nicht mal eine Sekunde lang. Schnell regieren Wohlklang, Melancholie und Herbstgefühl. Beinahe beiläufig geht es um das Auf und Ab in einer Beziehung, über das Kämpfen ums Zusammenbleiben, die Geduld und das Verzeihen, das es dafür auch braucht: “This is no rehearsal / this is the take / promises you once kept / are going to break.“
Dieses Thema, also Weitermachen, Dranbleiben und Durchhalten, taucht auch danach auf dem Album immer wieder auf, das rund um den Jahreswechsel 2019/20 in den Londoner RAK Studios aufgenommen wurde. Wenn man böse ist, kann man es auch auf die Frage nach der Existenzberechtigung von Travis im Jahr 2020 übertragen: Was hat diese Band noch zu sagen? Warum gibt es sie noch? Nicht immer gibt Fran Healy, der mittlerweile in Los Angeles lebt, darauf eine überzeugende Antwort. Wenn dies nicht 10, sondern 12 oder 13 Lieder wären, hätte das Album jedenfalls ein gehöriges Problem mit seinem Spannungsbogen, auch die Texte sind insgesamt uninspiriert und oft nahe am Klischee. „My love is black and blue / my love is next to you / my love is true / ooh-ooh-ooh“, ist in All Fall Down das schlimmste Beispiel dafür, die Musik ist hier behutsam und ursprünglich, aber eben auch langweilig.
Natürlich gibt es aber insgesamt mehr Glücks- als Fehlgriffe und mit dem ruppigen Valentine sogar ein Ausrufezeichen innerhalb der Album-Dramaturgie, das mit gesunder Aggressivität überrascht. A Million Hearts greift das Motiv aus Waving At The Window noch einmal auf: „And I’m not doing a rehearsal / wanna make the first mistake / and if life was in reversal / it would be a single take“, heißt in diesem Stück, in dem Melodie, Gefühl und Stimmung ohne Fehl und Tadel sind. The Only Thing wird ein herrlich romantisches Duett mit Susanna Hoffs, deren Stimme wohl noch immer einer ganzen Generation von Musikfans eine Gänsehaut bescheren kann. Ein paar Country-Elemente unterstreichen die Eleganz des Sounds, der perfekt zu einer Liebesgeschichte passt, die nicht stürmisch ist, aber tief. “It’s easier to be alive / than hide under your pillow / while your life is passing you by”, lautet die Botschaft, die der Geist im recht flotten A Ghost überbringt, der also wahrscheinlich Zeit, Alter und Vergänglichkeit repräsentiert. No Love Lost beschließt die Platte fast nur mit Gesang und Klavier.
„But we soldier, soldier on“, heißt die letzte Zeile in Butterflies. Auch hier taucht also die Routine noch einmal explizit auf, die sogar zur Qual werden kann, wenn man keine anderen Mittel findet, um etwas Liebgewonnenes zu bewahren. 10 Songs ist leider nicht stark genug, um Travis vom Vorwurf freizusprechen, dass dieser Effekt auch auf sie selbst zutrifft. Zugleich zeigen sie mit diesem Song, dass sie diese Situation zumindest erkannt haben, und letztlich sieht Fran Healy in diesem Stück auch die Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch, nämlich seine sehr intuitive Herangehensweise an Musik. Lieder sind für ihn wie Schmetterlinge, sagt er: „Diese Dinger schwirren umher. Du musst sehr ruhig, sehr schnell und sehr respektvoll sein, wenn du sie einfangen willst. Dann betrachtest du sie kurz, und dann lässt du sie wieder frei. Darum geht es bei Songs. Das ist der ganze Punkt beim Songwriting.“