Trojan Records – 50th Anniversary Box Set

Künstler Diverse

Trojan Records - 50th Anniversary Box Set Review Kritik
Mit mehreren üppig ausgestatteten Sammlungen feiert Trojan Records sein Jubiläum.
Album Trojan Records – 50th Anniversary Box Set
Label Trojan
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

Diese Geschichten gibt es wohl bei jeder legendären Plattenfirma: Sie spezialisiert sich auf einen Sound, entwickelt ihn weiter, macht ihn groß, verdient viel Geld damit – und einige der Künstler, die mit ihrer Kreativität und ihrem Können zu diesem Erfolg beigetragen haben, gehen dabei leer aus und haben finanziell nichts vom großen Erfolg. Man kennt dieses Phänomen von Motown, Sun Records und einige anderen.

Auch bei Trojan Records gibt es solche Vorwürfe. Sie sollten indes nicht überschatten, was das Label geleistet hat: Es waren die Platten aus dem Hause Trojan, die Reggae, Ska und Rocksteady zuerst in England und in der Folge im Rest der Musikwelt in den Mainstream gebracht haben. „In den späten Sechzigern und frühen Siebzigern war Trojan quasi gleichbedeutend mit jamaikanischer Musik überhaupt – und die war damals im UK extrem beliebt“, hat der Independent diesen Einfluss gerade zusammengefasst. Das hat nicht nur die musikalische Palette von Pop erheblich erweitert und Acts wie The Clash, Madness oder No Doubt überhaupt erst möglich gemacht. Es hat auch gezeigt, dass ein Miteinander von westlicher Welt und Einflüssen aus anderen Weltregionen möglich ist. Wenn Schwarze und Weiße zur selben Musik tanzen, dann ist ein Austausch zwischen ihnen, auch jenseits der musikalischen Sphäre, vielleicht einfacher möglich als gedacht und befruchtend für alle Beteiligten. Heute sagen wir zu dieser Idee: Multikulti.

In diesem Jahr feiert die Plattenfirma, die nach dem Pritschenwagen benannt ist, mit dem der jamaikanische Produzent Duke Reid immer sein Soundsystem durch die Gegend gefahren hat, ihren 50. Geburtstag. Zum Jubiläum gibt es für alle Fans erlesene Geschenke, dazu gehört eine Sammler-Box mit vier 12″-LPs, sechs CDs, zwei 7″-Schallplatten, einem Buch aller Album-Cover, 7″-Adapter, Poster, Sticker und Slipmat. Ebenfalls erhältlich ist ein 3CD-Set (Trojan Ska & Reggae Classics), auch ein Film über das Label ist schon fertig namens Rudeboy: The Story of Trojan Records.

Einige der größten Stars des Labels, das auch Lee „Scratch“ Perry, Jimmy Cliff und Bob Marley unter Vertrag hatte, sind hier vertreten. Von Dave & Ansel Collins gibt es Double Barrel aus dem Jahr 1971. Das Lied war der erste Nummer-1-Hit im UK für Trojan Records und es hätte einige Jahre später problemlos auch Madness und all ihre Fans in Ekstase versetzt. Warum The Pioneers ähnlich beliebt waren, zeigen Tracks wie Monkey Man mit großer Direktheit und sogar einem Hauch von Aggressivität oder das erstaunlich emanzipierte Long Shot Kick De Bucket. Wer bei You Can Get It If You Really Want von Desmond Dekker nicht nach ein paar Sekunden ein Lächeln im Gesicht und Sonne im Herzen hat, dem ist wohl nicht mehr zu helfen. Das Stück erweist sich dabei als ein Lied über Ehrgeiz und Durchhaltevermögen, vor allem aber über Hoffnung und den Glauben an die eigenen Stärken.

Diese beinahe pädagogische Komponente findet sich in etlichen der Lieder dieser Sammlung. Am deutlichsten ist das bei To Be Young, Gifted And Black von Bob & Marcia: Black consciousness wird hier über Stolz und Wärme zum Ausdruck gebracht, nicht über Trotz und Härte, zugleich mit einem Aufruf zu Bildung und Anstand. Show I The Way von Jah Woosh preist Haile Selassie als spirituellen Führer der Rastafari, The Majesterians rufen mit Give To The Poor zur Wohltätigkeit auf. Time Marches On von David Isaacs & The Race Fans erweist sich als der vielleicht fröhlichste Song über das Älterwerden aller Zeiten und rät zu entsprechender Gelassenheit.

Einige dieser Tracks waren bisher unveröffentlicht, teilweise sind die Stücke auf dem Trojan Records 50th Anniversary Box Set auch in bisher nicht bekannten Versionen zu hören. Dazu gehört Niki Hoeky von den Marvels, das eine Brücke in die US-Südstaaten schlägt und beispielsweise auch an Bord der Proud Mary sicher seine Freunde gefunden hätte. Rico’s & His All Stars setzen für ihren Ska Beat auf freigeistige Bläser, der Gesang dient eher als eine Anfeuerung für sie denn als eigenständiges Instrument. The Setters finden in Behold den perfekten Sound für die darin artikulierte Liebestrunkenheit. Bei The Rudies und der von ihnen in Do The Moonwalk heraufbeschworenen Dancehall voller Skinheads, die feuchtfröhlich mitsingen und -stampfen wäre man gerne dabei gewesen.

We Are Not The Same von The Cimarons ist mit typischen Disco-Elementen wie Streichern und Chor ein gutes Beispiel für den Sound der späteren Trojan-Phase. Viel überzeugender als The Dingles in Happiness kann man Zeilen wie „My heart is filled with joy“ nicht umsetzen. Eine echte Entdeckung ist auch das Hey Jude-Cover von The Dynamites. Den Beatles-Klassiker als Reggae-Instrumental umzusetzen – da muss man auch erst mal drauf kommen.

Der Track verweist zudem auf die enge Verbindung zwischen England und Jamaika, für die Trojan Records steht. Die Firma wurde 1968 in London von den aus Jamaika ausgewanderten Lee Gopthal und Chris Blackwell gegründet. Zunächst war das Label eine Tochterfirma von Island Records, nach diversen Eigentümerwechseln im Laufe seiner 50-jährigen Geschichte gehört es jetzt zu Universal. Vor allem die Sampler-Serie Tighten Up erwies sich zur Blütezeit von Trojan als Erfolgsrezept und stellte dem britischen Publikum immer neue Künstler aus Jamaika vor.

Dass auf den Plattenhüllen von Tighten Up meist sehr leicht bekleidete Frauen zu sehen waren, findet hier manchmal auch in der Musik seine Entsprechung, etwa in Hurt So Good von Susan Cadogan, die darin in einem Girlgroup-Soul-Sound aus unterwürfiger, weil unsterblich verliebter Perspektive singt. Auch Too Experienced von Owen Gray könnte man in diese Reihe stellen: Der Bass ist sehr ungeduldig, die Bläser sind sehr wehmütig – das passt natürlich perfekt zu einem Lied über das Schmachten und die unerfüllte Sehnsucht.

Natürlich gibt es bei einem Label, das sich vor allem auf Reggae spezialisiert hat, beträchtliche Ähnlichkeiten zwischen den Stücken bei Beat, Tempo und Instrumentierung. Natürlich passt das Trojan Records 50th Anniversary Box Set mit diesem Sound auch perfekt als Soundtrack für diesen extrem heißen Sommer. Trotzdem gibt es hier mehr als Strandgefühl und Entspanntheit. Gerade der Überblick verschiedener Künstler aus verschiedenen Phasen der Label-Geschichte macht deutlich, wie groß und abwechslungsreich das Spektrum von Trojan war.

Die Harry J Allstars machen aus Liquidator ein Instrumental mit sehr prominenter Orgel. Suzanne Beware Of The Devil von Dandy Livingston ist putzig und romantisch. Das opulente Rain von Bruce Ruffin rückt in die Nähe von Jazz. John Holt zeigt in Help Me Make It Through The Night seine große Crooner-Stimme zu einer Atmosphäre und Komposition, der auch zu Neil Diamond passen könnte. Al Barry beweist mit Wide Awake In A Dream, dass der Trojan-Sound auch als Kuschelrock funktioniert.

Auch etliche Songs, die später von anderen Interpreten weit hoch in die Charts gebracht wurden, kann man im Trojan Records 50th Anniversary Box Set entdecken. Love Of The Common People von Nicky Thomas ist deutlich kantiger (wie sollte es auch sonst sein) als die Version von Paul Young aus dem Jahr 1982, auch in Red Red Wine von Tony Tribe steckt viel mehr Pep als es später in der Aufnahme von UB 40 der Fall war. Ken Boothe geht mit Everything I Own den umgekehrten Weg: Das Lied hatten Bread schon 1972 zum Hit gemacht, aber auch das Reggae-Gewand, das er ihm zwei Jahre später anlegte, passt wunderbar.

Natürlich liefert das Box-Set auch reichlich klassische Genre-Sounds, quasi die Essenz von Reggae. The Upsetters zeigen mit dem instrumentalen Return Of Django, dass der Bass hier in gleichem Maße ein Rhythmus- wie ein Melodieinstrument zu sein scheint. The Maytals setzen in 54-46 Was My Number auf Call-and-response wie im Gospel. Die Besonderheit dabei: Die Antwort kommt manchmal nicht vom Chor, sondern von den Instrumenten. Zwischendurch meint man fast Sprechgesang wie im Rap auszumachen, am Ende ist die Stimme nur noch lautmalerisch, aber genauso wirkungsvoll. Vielleicht das prototypischste Lied der Sammlung ist der Skindhead Moonstomp von Symarip. „Let’s all start getting happy now“, heißt es darin gleich zu Beginn. Eine Aufforderung, der man unbedingt Folge leisten sollte.

Ein Trailer zur Jubiläums-Box.

Website von Trojan Records.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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