Künstler | Typhoon | |
Album | Offerings | |
Label | Roll Call Records | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
„Ich sah mir sehr viel von David Lynch an, dachte sehr viel über die Filme Memento von Christopher Nolan und Fellinis Achteinhalb nach. Außerdem lagen viele Bücher auf meinem Nachtschrank, die in meine Ideen hineinspielten. Dies machte das Album sicherlich zu einem düsteren”, sagt Typhoon-Frontmann Kyle Morton über die Entstehungsphase von Offerings. Seine Einschätzung ist nicht unzutreffend. Trotzdem liefert die Band aus Oregon, die bei Konzerten auf bis zu elf Mitglieder anwachsen kann, mit ihrem vierten Studioalbum viel mehr ab als einen Blick in die menschliche Dunkelkammer. Die Amerikaner haben nämlich erkannt, dass wir nur durch unsere Erlebnisse und Erinnerungen, auch die unerfreulichen, die Person werden, die wir sind.
Offerings erzählt die Geschichte eines fiktiven Manns, der sein Gedächtnis verliert und nach und nach damit auch die Wahrnehmung seines Selbst. Gegliedert ist das morgen erscheinende Album in vier Abschnitte (Floodplains, Flood, Reckoning und Afterparty), jeder davon steht für eine mentale Phase im Kopf der Hauptfigur.
„Ich wollte, dass die Platte eine Reise wird, genauso wie in Dates Inferno. Sie beginnt mit Wake, wo der Charakter aufwacht, ins Bett gemacht hat und nicht weiß, was passiert. Ich wollte ein bestimmtes Gefühl erzeugen, dass Samuel Beckett besonders gut beschreibt”, sagt Morton. Der besagte Song zeigt zugleich, dass Typhoon das Spiel mit Dramaturgie nicht nur auf Albumlänge beherrschen, sondern auch innerhalb eines Songs: Wake beginnt ruhig, akustisch und mit zerbrechlicher Stimme, am Ende hat es eine große Kraft, wobei die Trommeln fast so einschüchternd werden wie der Chor.
Das folgende Rorschach ist im Kern ein fast minimalistischer Folksong, wird aber toll angereichert, mal mit Störeffekten, kurz auch mit Streichern, nicht zuletzt mit einem Refrain, der verstehen lässt, warum es der Vorgänger White Lighter auf Platz 2 der Billboard Heatseekers Album Charts in den USA schaffte. Empiricist zeigt, dass Typhoon auch die Lust auf großen Sound und große Gefühle kennen, etwa im Stile von Get Well Soon oder Electric Soft Parade. Auch dieser Track wird eine musikalische Abenteuerreise mit vielen pittoresken Momenten und überraschenden Zwischenstopps.
Natürlich braucht man nicht unbedingt ein Elftett (heißt das so?), um eine abwechslungs- und facettenreiche Platte zu machen, Offerings zeigt aber, wie geschickt Typhoon ihre jeweiligen Einflüsse (zum erweiterten Kosmos der Band aus Portland gehören etwa The Thermals, Modest Mouse oder Bright Eyes, auf Tour waren sie bereits mit den Geistesverwandten Decemberists, Portugal The Man und Grouplove) zu einem sehr stimmigen Ganzen zu verbinden vermögen.
Algernon ist akustisch, zart und traurig, Remember erinnert an die rockigeren Momente von Arcade Fire, Chiaroscuro entpuppt sich als filigrane Ballade, Darker überrascht mit einem recht markanten (und sehr guten) Groove. Unusual würde ins Frühwerk von Coldplay passen, Ariadne könnte man sich von den Shins vorstellen, wenn sie (zumindest gelegentlich) Lust auf Extremes hätten. Beachtowel zeigt, wie gut Typhoon darin sind, einen Song von seiner Atmosphäre leben zu lassen, Bergeron klingt nicht nur durch den Gesang von Kyle Morton so disparat, sondern auch durch das extrem verschleppte Tempo.
„Ich habe mich immer mit Gedächtnis, dem Verlust dessen und dem Zurückgewinnen von Erinnerungen beschäftigt. Ich wollte den folgenden Fragen auf den Grund gehen: Was wird aus einer Person, wenn sie nicht weiß, woher sie kommt? Was ist die wesentliche Eigenschaft einer Person, wenn sie all ihre Erinnerungen verliert?”, erklärt Morton noch einmal den Gedanken, der im Zentrum dieser Platte steht. Typhoon finden sehr kluge, tiefgründige und berührende Antworten darauf.