UNS, Ilses Erika, Leipzig

UNS konzert Leipzig Kritik
Im Netzhemd singt Sebastian Cleemann ab der Mitte der Show – weiter geht der Striptease nicht.

„Ich mag es, wenn mich junge Leute nackt sehen“, singt Sebastian Cleemann gerade. Er hat die Gitarre zur Seite gelegt, steigt zu diesen Zeilen von der Bühne ins Publikum und legt seine Jacke ab, die ein wenig wirkt, als habe er sie aus dem Nachlass von Muammar Al-Gaddafi übernommen. Darunter wird ein rotes Netzhemd sichtbar, darunter tatsächlich der freie Oberkörper des Frontmanns von UNS.

Es ist, ungefähr zur Halbzeit, der speziellste Moment dieses Konzerts. Einerseits, weil Cleemann – früher in Bands wie Petula oder Kate Mosh aktiv – wohl spätestens in den 2020er Jahren eine Altersangabe erreichen wird, die mit 4 beginnt und sich somit eindeutig nicht selbst einschließt, wenn er von den „jungen Leuten“ singt. In anderen Kontexten als bei einer Show im Ilses Erika könnte sein Bekenntnis wie die Ankündigung eines ekligen Exhibitionisten wirken, der kleine Kinder im Park erschreckt. Andererseits, weil wohl etliche dieser jungen Leute im Leipziger Publikum erwarten/befürchten/erhoffen, dass dieser Striptease noch weiter geht. Cleemann singt in Nackt sehen über die ersten Anzeichen körperlichen Verfalls und die nicht ganz einfache Erkenntnis, auch im unbedingt erwachsenen Alter noch immer keinen besseren Lebensinhalt gefunden zu haben als Rock’N’Roll im weitesten Sinne. Er präsentiert sich damit als wandelnder Dorian Gray, als Blick in die Zukunft für die Menschen im Club, die halb so alt sind: So könntet ihr auch werden! Ist das eine schöne Perspektive? Oder eher eine Schreckensvision?

Die Antwort fällt angesichts des Konzerts nicht schwer. Das Trio aus Berlin hat im Ilses Erika ebenso viel Spaß wie die Besucher. Nach Angaben der Band hat sich die Menge im Vergleich zum letzten Konzert hier übrigens verzwanzigfacht, was bedeutet, dass damals 2-3 Fans anwesend waren und zugleich nahelegt, das UNS ihr übernächstes Konzert in Leipzig dann in der Arena spielen werden.

Die Show beginnt mit Internetgold, beim folgenden Die schnellsten Autos der Welt sind die letzten Soundprobleme behoben, schon beim dritten Lied des Abends, dem Titelsong des 2013 erschienenen Debütalbums Gegengift, hat man den Eindruck, die Bühne sei für Sebastian Cleemann zu klein. Eingezwängt zwischen Lautsprecher und Keyboardstativ nutzt er jeden Kubikzentimeter, um aus seinem Gesang eine Performance zu machen, reckt und windet sich, wechselt eifrig zwischen Gitarre und Tasten und ist ganz unverkennbar ein Mann mit einer Mission: Er will nicht nur die durchaus relevante Botschaft von UNS unters Volk bringen, sondern dabei auch selbst maximales Vergnügen haben.

UNS Konzertkritik Alles was wir machen ist Kunst
Zu Beginn des Abends hatte er noch ein schickes Gaddafi-Sakko an.

Seine beiden Mitstreiter, von denen sich besonders Schlagzeuger Jens Gathemann als Geheimwaffe für die Live-Inkarnation von UNS erweist, beklatschen sich im Verlauf des Abends immer wieder gegenseitig und sehen aus wie die fiesen Jungs aus Funny Games, allerdings sind Shorts, Tennissocken und Schweißbänder bei ihnen mit Glitzer und kleinen Spiegeln verziert. Alles was wir machen ist Kunst heißt schließlich die aktuelle Platte der Berliner.

Als der Titelsong nach einer guten Viertelstunde erklingt, ist klar, wie das gemeint ist und wie es in Leipzig verstanden wird: Man kann dazu ebenso gut tanzen wie versonnen zu Boden blicken. Spätestens bei Das Haus, als die Nebelmaschine angeworfen wird, und beim großartigen Von A nach A, als der Sänger erstmals ins Publikum kommt, entscheiden sich mehr und mehr Fans für Ersteres. Bei München, das als erste Zugabe erklingt und als wichtigste Inspiration das Werk von Heinz Rudolf Kunze benennt, und dem abschließenden Der Riss steht dann niemand mehr still.

Nach einer guten Stunde ist die Sause vorbei, alle Beteiligten sind bekleidet geblieben, und der Tenor nach diesem Abend in Leipzig dürfte eindeutig sein: Ein Hoch auf UNS.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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3 Gedanken zu “UNS, Ilses Erika, Leipzig

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