Vier Jahre Trump-Präsidentschaft – und sechs Dinge, die wir daraus lernen sollten

Donald Trump Bilanz Amtszeit
Hier regiert ab morgen hoffentlich wieder Ratio statt Bauchgefühl. Foto: David Mark auf Pixabay

Wenn es um die USA geht, ist ein Spoiler-Alarm sicher ebenso erlaubt wie eine Trigger-Warnung. Also vorab: Ich bin kein Fan von Donald Trump. Ich hätte nicht gedacht, dass die Amerikaner ihn zum Präsidenten wählen (man sollte indes nicht die Dysfunktionalität der US-Verfassung unterschätzen, siehe 1). Als es dann doch geschah, habe ich sogar Wetten darauf abgeschlossen, dass er seine Amtszeit nicht regulär beenden wird, durch ein Impeachment, eine Revolte innerhalb der republikanischen Partei oder durch eigene Unlust (man sollte aber nie die Macht der Eitelkeit unterschätzen, siehe 2). Ich bin also froh, dass er nicht erneut gewählt wurde, auch wenn durch Joe Biden im Weißen Haus natürlich längst nicht automatisch alles besser wird (schon die Amtszeit von Barack Obama hat gezeigt, dass man weder wohlmeinenden Ankündigungen vollends vertrauen noch die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten des Präsidenten auf eine gespaltene Nation überschätzen sollte, siehe 3 und 4). Und ich bin gespannt, wie die USA diese Amtszeit, ihre zahlreichen Tabubrüche und Eskapaden bis hin zum unwürdigen Ende mit dem Sturm aufs Kapitol aufarbeiten werden (siehe 5 und 6). So schlimm die zurückliegenden vier Jahre waren, so gering ist die Hoffnung, dass der entstandene Schaden schnell zu reparieren ist. Sollte man das aber zumindest versuchen wollen, zumal aus deutscher Sicht, gibt es meines Erachtens sechs wichtige Erkenntnisse aus der Trump-Präsidentschaft.

1. Amerika taugt nicht als Vorbild.

Wir sollten endlich aufhören, uns an diesem durch und durch kaputten Land zu orientieren. Natürlich dürfen wir den USA weiter dankbar sein für die Befreiung von Nazi-Herrschaft, wirtschaftliche Aufbauhilfe und die erfolgreiche Etablierung einer Demokratie hierzulande. Aber das ist 70 Jahre her. So sehr Hollywood und das Silicon Valley heute unser Bild der USA prägen, so ist dennoch klar: Es gibt dort fast nichts mehr, wonach wir uns sehnen oder worauf wir neidisch sein sollten – schon gar nicht gilt das für die Ideale der angeblich ersten Demokratie der Weltgeschichte, die deutsche USA-Fans so gerne preisen. Menschenrechte? Fragen Sie mal die Insassen in Guantanamo, die Opfer von Kriegsverbrechen oder die eingewanderten Kinder, die in Käfigen landen! Demokratie? Da kann man nur lachen, wenn großen Teilen der Bevölkerung ihr Stimmrecht indirekt vorenthalten wird (durch die Pflicht zur Registrierung), wenn Chancen auf ein Amt nur die Personen haben, die sich einen teuren Wahlkampf leisten können, wenn man US-Präsident werden kann, obwohl man weniger Stimmen erhalten hat als die Gegenkandidatin! Freiheit? Die lässt sich sicherlich wunderbar ausleben von all den Amerikanern, die in mehreren Jobs arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen (ein Drittel aller Arbeitnehmer in den USA ist prekär beschäftigt, 50 Millionen Einwohner gelten offiziell als arm), bei der kleinsten wirtschaftlichen Erschütterung ihre Existenzgrundlage verlieren (mehr als 40 Millionen Amerikaner wurden durch die Corona-Pandemie zumindest zeitweise arbeitslos) oder in die Drogensucht geflohen sind, weil sie ihr eigenes Leben in ihrem eigenen Land nicht mehr ertragen (pro Tag sterben im Durchschnitt fast 200 Amerikaner an den Folgen ihrer Opioid-Sucht)! Soziale Mobilität? Die Chance, vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden, ist in den USA noch geringer als in Deutschland, zeigen übereinstimmende Studien von OECD, Brookings, dem Pew Charitable Trust oder dem Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit. Chancengleichheit? Wer daran glaubt, soll sich kurz vorstellen, George Floyd hätte versucht, ins Kapitol einzudringen.
Es ist schlimm genug, dass so viele Amerikaner selbst an den Mythos von „God’s own country“ und dem „Land of the free“ glauben. Diese Selbstbeweihräucherung steht einem tatsächlichen Status als Vorzeige-Demokratie, Weltmacht und moderne Nation wahrscheinlich so sehr im Weg wie nichts sonst. Ein Paradebeispiel dafür ist die Verfassung, die den Amerikanern ach so heilig ist: Spätestens die letzte Präsidentschaftswahl hat gezeigt, wie untauglich sie mit Wahlmännern, Electoral College, Entscheidungsbefugnissen von Obersten Bundesrichtern etc. ist. Prozesse und Ideen aus der Zeit des Wilden Westens funktionieren nicht mehr für dieses Land und unsere Zeit. Die dringende Erneuerung der USA müsste bei dieser antiquierten Verfassung ansetzen, doch solch eine Forderung klingt wohl für die meisten Amerikaner wie Blasphemie. Wir dürfen ihnen diesen Glauben an die eigene Erhabenheit gerne lassen, aber wir sollten nicht mehr selbst darauf hereinfallen.
Natürlich sind dies zum großen Teil strukturelle Probleme, die schon vor Trump da waren und auch nach ihm bestehen bleiben werden. Natürlich gibt es auch hierzulande genug Missstände, viele der hier erwähnten Probleme treffen in geringerer Ausprägung auch auf Deutschland zu. Aber wir haben längst ein leistungsfähiges Modell, das wir stützen und weiterentwickeln sollten statt weiter gedanklichen Müll, soziale Defizite oder gefährliche Trends aus der Neuen Welt zu importieren. Die soziale Marktwirtschaft und die Europäische Union sind diese Gegenentwürfe. Bei allen Defiziten, die sie haben, sollten wir schleunigst die Eigenständigkeit und Potenziale dieser Modelle erkennen und stärken, um sie zu revitalisieren. Eine selbstbewusste Skepsis gegenüber Amerika hilft dabei. Wenn die USA – wie unter Trump – drauf und dran sind, sich zu einem dysfunktionalen Schurkenstaat zu entwickeln, sollten wir uns auch die Aussage erlauben: Wir können auch ohne euch, und zwar besser.

Konkretes Beispiel: Militärausgaben. Wenn die USA (in einem schlecht getarnten Versuch, die eigene Rüstungsindustrie zu stützen) fordern, dass Deutschland ab sofort 2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgibt – warum sollte uns das interessieren? Natürlich gibt es Bündnispflichten, aber die sind verhandelbar. Ich bin sehr sicher, dass die deutschen Steuerzahler auf die Frage, wofür dringend mehr von ihrem Geld ausgegeben werden sollte, in überwältigender Anzahl nicht mit „Panzer und Flugzeugträger“ antworten werden. Das ist ihre souveräne Entscheidung, und das geht den US-Präsidenten einen Dreck an. Falls er darauf beharrt, wir ließen uns seit Jahren auf Kosten anderer beschützen, sei die Frage erlaubt: Vor wem genau soll uns denn dieses Militär beschützen? Mehr noch: Wie viele dieser vermeintlichen Feinde wären auch nur annähernd eine Bedrohung, hätten die USA mit einer katastrophalen Sicherheitspolitik seit mehr als 30 Jahren nicht allerorten Krieg und Hass auf den Westen geschürt?

2. Social Media und Messenger-Dienste müssen dringend deutlich strenger reguliert werden.

Man kann darüber streiten, wie relevant 280 Zeichen von einem Mann mit dem Wortschatz eines Sechsjährigen sind. Man kann die Meinungsfreiheit hochhalten, einen Zugewinn an Pluralität in der öffentlichen Debatte attestieren oder auf den unbestrittenen Komfortgewinn verweisen, den uns Facebook, WhatsApp oder Twitter in der persönlichen Kommunikation gebracht haben. Nach vier Jahren Trump-Präsidentschaft sollte aber klar sein, wie toxisch die Prinzipien dieser Plattformen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind. Die Ursache dafür liegt auf der Hand und wurde längst durch etliche Studien bestätigt: Wir alle sind Trump. Wir sind eitel bis hin zum Narzissmus. Wir sind materialistisch. Wir sind überfordert von der Komplexität der Welt. Wir wollen nur das hören, was zu unserem Weltbild passt. Wir scheißen im Zweifel auf den Rest der Welt ebenso wie auf das, was gestern galt, und auf das, was unser Handeln für künftige Generationen bedeuten wird.

Vieles davon ist evolutionär bedingt, anderes durch gesellschaftliche Prägung entstanden. In jedem Fall sitzt es tief in uns – und Social Media bringt all diese negativen Eigenschaften zum Blühen wie keine Technologie zuvor. Die Folge sind Filterblasen, bereitwillig geglaubte Propagada, Desinformation als Mittel der Politik, hemmungslose Selbstinszenierung und maximale Lautstärke als letztes verbliebenes Mittel, um die ach so kostbare und schmerzlich limitierte Aufmerksamkeit zu erringen. Wir können nun entweder ein paar Millionen Jahre lang warten, bis wir evolutionär weit genug sind, um mit den Effekten dieser Technologien vernünftig umzugehen – und in der Zwischenzeit auf das Beste hoffen. Oder wir machen uns anhand der bisherigen Erfahrungen klar, was diese Effekte für unser gesellschaftliches Miteinander bewirken und zwingen die fahrlässig ignoranten Plattformbetreiber, dafür Verantwortung zu übernehmen.

Das bedeutet: Facebook, Twitter & Co. müssen eingestehen, dass sie für die Inhalte ihrer Plattformen haften. So, wie jede Redaktion für die Inhalte ihrer Autoren (übrigens einschließlich der Leserbriefe) verantwortlich ist, müssen sie sicherstellen, dass es bei ihnen keine Beleidigungen und üble Nachrede gibt, keine Volksverhetzung, keine Kinderpornographie, nicht zuletzt: keine Desinformation. Sie haben längst eine überwältigend wichtige Rolle bei der Bildung der öffentlichen Meinung, und ihre Prozesse zur Qualitätssicherung der Inhalte müssen endlich dieser Macht entsprechen. Wenn es ihnen nicht gelingt, eine solche Qualitätssicherung zu installieren, müssen sie abgeschaltet werden. So drastisch das klingt, sollten wir uns klar machen: Wir können als Gesellschaft kein Interesse daran haben, ein Geschäftsmodell über das Gemeinwohl zu stellen. Wenn sich auf der einen Seite der Waagschale der Komfort der User, die neuen technologischen Möglichkeiten und der Profit der Betreiber (den sie natürlich möglichst nicht versteuern wollen) finden, auf der anderen Seite der Waagschale aber das Funktionieren der öffentlichen Debatte, des politischen Diskurses und damit unserer Demokratie liegt, dann kann es keine Frage sein, was uns wichtiger ist.

Konkretes Beispiel: Hatespeech bei Facebook. Erstaunlich erfolgreich weigert sich die Plattform seit Jahren, für justiziable Aussagen der User zu haften, etwa Beleidigungen in Kommentaren. Gerne wird darauf verwiesen: Das sind so viele, die können wir gar nicht alle sichten. Oder aber: Wenn wir einen Algorithmus einsetzen, der solche Kommentare filtert, beschneiden wir vielleicht auch Posts, die ironisch gemeint waren oder eigentlich unverfänglich sind. Ganz viel an dieser Argumentation ist problematisch: Wenn Facebook von der Zahl seiner eigenen User und des von ihnen produzierten Bullshits überwältigt ist, dann ist das ein Problem von Facebook und keines, das auf dem Rücken der Hatespeech-Opfer oder der gesamten Kommunikations- und Diskurs-Kultur unserer Gesellschaft einfach hingenommen werden sollte (es kann auch kein Lebensmittelproduzent vergiftete Produkte auf den Markt bringen mit dem Argument: „Wir produzieren so große Mengen, da können wir doch nicht jede einzelne Zutat oder jede in den Handel gehende Packung checken!“). Wenn ein Algorithmus zu dumm ist, Beleidigungen zuverlässig zu erkennen, dann muss Facebook eben Menschen einstellen, die dazu in der Lage sind. Am besten juristisch geschulte Menschen – und zwar so viele, dass sie im Zweifel jeden einzelnen Beitrag manuell prüfen können. Und wenn sich das dann nicht mehr rechnet, hat Facebook eben Pech gehabt.

3. Wir müssen in Bildung und Medienkompetenz investieren.

Auch dumme Menschen dürfen wählen. Das gilt in den USA genauso wie bei uns, und das ist gut so. Es ist eine Voraussetzung für Demokratie. Genauso ist es aber eine Voraussetzung, dass bei der Wahl eine sogenannte „informierte Entscheidung“ getroffen (und nicht einfach ein Kreuz nach Zufallsprinzip gemacht) wird. Das Ideal kennen wir alle: Menschen hören sich an, was verschiedene Parteien oder Kandidaten für Inhalte anbieten und geben dann dort ihre Stimme ab, wo sie sich am besten repräsentiert fühlen. Dieses Grundprinzip ist, auch das zeigen die vier Trump-Jahre im Weißen Haus, an zwei Stellen aus den Fugen geraten. Erstens konkurrieren wahrhaftige Informationen mit Lügen, und zwar innerhalb von Kanälen, deren Mechanismen im Zweifel Letzteres bevorzugen. Zweitens sind viele Menschen offensichtlich nicht mehr in der Lage, zwischen glaubwürdigen Inhalten und Verarsche zu unterscheiden.

Wir müssen Menschen wieder in die Lage versetzen, Propaganda, Manipulation und Desinformation zu erkennen und sie damit zu erschweren – und zwar in den Schulen. Wenn in den USA ein Drittel aller Schüler ohne Abschluss bleibt, ist das ein Skandal. Nicht nur, weil es diesen Menschen in der Regel die Möglichkeit auf gutes Einkommen oder wirtschaftlichen Aufstieg nimmt. Sondern auch, weil sie somit höchstwahrscheinlich ein Leben lang nicht in der Lage sein werden, ihre eigenen politischen Interessen wahrzunehmen und informierte Wahlentscheidungen zu treffen. Hier muss dringend investiert werden, in die Schulbildung insgesamt, auch in die Medienkompetenz der Heranwachsenden. Dass sich Millionen Amerikaner von einem Mann repräsentiert fühlen und ihm sogar die Verantwortung für ihr Land geben, der so offenkundige geografische, historische, medizinische und nicht zuletzt politische Wissenslücken hat, ist alarmierend. Denn Bauchgefühl, Instinkt oder gesunder Menschenverstand, auf die sich Trump während seiner Amtszeit so gerne berufen hat, sind im höchsten Maße anfällig für Manipulation und Propaganda. Wenn unsere Gesellschaft funktionieren soll, brauchen wir eine überwältigende Mehrheit von Menschen, die rationale Entscheidungen trifft, basierend auf Fakten. Wenn wir sie dazu nicht in die Lage versetzen, wird nicht nur die Demokratie bald der Vergangenheit angehören, sondern auch unser Wohlstand, der – in Deutschland noch mehr als in den USA – ebenfalls Bildung und Ratio als zwingende Voraussetzungen hat.

Konkretes Beispiel: Corona-Impfung bei Pflegkräften. Die Impfbereitschaft des Personals in Pflegeeinrichtungen ist in den ersten Wochen nach Bereitstellung des Impfstoffs erschreckend gering. Diese Menschen stehen erstens an der Front der Pandemie, haben ein hohes Risiko, sich anzustecken und ihrerseits das Virus an ihre Patienten weiterzugeben und sie damit in Lebensgefahr zu bringen. Sie sollten zweitens durch ihre Ausbildung ein gewisses Verständnis medizinischer Grundlagen haben. Beides zusammengenommen, müsste zum Schluss führen: Sie nehmen das Impfangebot flächendeckend dankbar an, um sich selbst und andere zu schützen. Das passiert aber nicht. Fragt man nach Gründen für die Zurückhaltung, hört man: „Ich weiß nicht, ob der Impfstoff sicher ist.“ „Ich habe bei WhatsApp von gefährlichen Nebenwirkungen gelesen.“ „Das ging viel zu schnell mit der Entwicklung, das kann nicht ausgereift sein.“ All diese Zweifel sind berechtigt, ließen sich aber problemlos ausräumen, wenn diese Menschen in der Lage wären, verlässliche Informationen von Tratsch und seriöse Quellen von unseriösen zu unterscheiden. Statt vorrangig das wahrzunehmen, was vielleicht in Chatgruppen im Kollegenkreis als Warnung verbreitet wird, könnten sie sich sowohl über die Impfstoffentwicklung als auch über den Zulassungsprozess oder bisher bekannte Nebenwirkungen aus objektiven Quellen informieren. Aber sie kapitulieren offensichtlich vor einer Informationsvielfalt, die sie nicht sortieren und bewerten können – auf Kosten von Menschenleben.

4. Der soziale Frieden ist in erheblicher Gefahr.

Das reichste 1 Prozent der Bevölkerung in den USA besitzt 40 Prozent des gesamten Vermögens dieses Landes. Dieses eklatante Ungleichgewicht bildet natürlich den Kern von Trumps Erfolg, ebenso wie es die Renaissance des Populismus andernorts ermöglicht hat. Die Enttäuschten und Wütenden suchen nach Sündenböcken ebenso wie nach Heilsbringern, und sie landen in den Armen von Menschen wie Donald Trump, die vorgaukeln, sich für sie und gegen das „Establishment“ einzusetzen, um sich schließlich mit ihrem Mandat die eigenen Taschen noch voller zu stopfen.

Auch das ist kein historisch einmaliges oder neues Phänomen. Aber auch hier sollte die Entwicklung in den USA uns Mahnung sein: Ein entfesselter Turbokapitalismus, in dem Vermögen mehr Rendite bringt (und geringer besteuert wird) als Erwerbsarbeit, in dem Unternehmensführung einzig auf das Ziel, die Aktionäre zu begeistern, und einzig auf den Horizont der nächsten Quartalszahlen ausgerichtet ist, zerreißt die Gesellschaft. Nicht nur im Hinblick auf Vermögen, Status und Chancen, sondern noch viel unmittelbarer. Schaut man sich die Proteste nach rassistischer Polizeigewalt oder den Sturm auf das Kapitol an, scheint die Frage berechtigt, wie weit die USA noch von einem Bürgerkrieg entfernt sind. In jedem Fall wird deutlich, wie gewaltig die Aufgabe für Joe Biden ist, diesem Land wieder ein Versprechen und eine Identität zu geben, hinter denen sich die Amerikaner versammeln können.

Es brauchte nicht die Corona-Krise für die Erkenntnis, wie zerstörerisch unser Wirtschaftssystem ist. Wenn zahllose Menschen ihre Jobs verlieren, wenn Unternehmen reihenweise um ihre Existenz bangen und zur selben Zeit die Börsen auf Rekordjagd gehen, dann ist dies allerdings ein weiterer Beleg dafür, dass sich die auch von Donald Trump propagierte Ideologie „Geht es der Wirtschaft gut, geht es den Menschen gut“ innerhalb unserer aktuellen Strukturen überholt hat. Ein großer Teil vermeintlicher Wertschöpfung wird generiert, indem Computer fiktive Finanzprodukte an andere Computer verkaufen – mit Realwirtschaft oder der Schaffung von Arbeitsplätzen hat das längst nichts mehr zu tun. In großen Teilen ist die Politik aber in solchen Denkmustern hängen geblieben und trägt somit dazu bei, dass soziale Spaltung wächst. Politik muss sich darin erinnern, dass sie für die Menschen da ist. Das bedeutet: Politik unterstützt die Wirtschaft nicht per se, sondern nur dann, wenn diese ebenfalls dem Menschen dient, also fair bezahlte Jobs in guten Arbeitsbedingungen ermöglicht und unsere natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet oder beschädigt. Sonst wachsen Frustration, Aggression und es schwindet die Akzeptanz unseres Systems. 57 Prozent der republikanischen Wähler haben in einer spontanen Umfrage nach dem Sturm auf das Kapitol diese Aktion befürwortet. Sie fanden es in Ordnung, dass ihr eigenes Parlament, der Ort ihrer Volksvertretung, gewaltsam erobert und mit Randale überzogen wurde. Sie haben sich wiedererkannt in den pubertären Siegerposen, im kurzen Triumph über die vermeintlich Übermächtigen, Schuldigen, Ignoranten, Korrupten. So schockierend diese Aktion war – diese Zustimmung dafür sollte noch mehr aufrütteln.

Konkretes Beispiel: Finanztransaktionssteuer. Seit die Finanzkrise 2008 die hemmungslose Gier und zugleich die Macht der Finanzindustrie entlarvte („Too big to fail“), wird hierzulande über eine Finanztransaktionssteuer diskutiert. Eine solche Steuer hätte zur Folge: Wenn ich ein Finanzprodukt kaufe, geht ein Teil des Kaufpreises in die Staatskasse. Diese Konstruktion sollte Spekulation eindämmen und auch einen Teil der immensen Beträge refinanzieren, die von der öffentlichen Hand zur Rettung von Banken, Versicherungen etc. zur Verfügung gestellt wurden. Ergebnis nach 13 Jahren: nichts. Zuletzt gab es einen halbherzigen neuen deutsch-französischen Vorstoß, im Gespräch war eine EU-weite Finanztransaktionssteuer in Höhe von 0,1 Prozent, die nur beim Kauf/Verkauf von Aktien (nicht für andere Finanzprodukte) gelten sollte. Zur Erinnerung: Beim Kauf von Klopapier zahlt jeder Mensch in Deutschland 19 Prozent Mehwertsteuer, das gilt auch für Rentner, Arbeitslose und so weiter. Auf das Einkommen, das man mit seiner Arbeitskraft erwirtschaft, zahlt man je nach Verdienst hierzulande zwischen 14 und 45 Prozent Lohnsteuer. Spekulanten, deren Gier für viele gesellschaftliche Zerwürfnisse verantwortlich ist, zahlen für ihr Treiben vielleicht irgendwann einmal möglicherweise sagenhafte 0,1 Prozent.

Donald Trump Bilanz Amtszeit
Donald J. Trump pulverisiert die Gleichung von Elite = Leistung. Foto: Official White House photo by Shealah Craighead / Wikipedia

5. Trump sorgt für Wut bei den Abgehängten, beschädigt aber auch die Eliten.

Der auf lange Sicht vielleicht größte Effekt der Präsidentschaft von Donald Trump wird sein, wie sehr er ein weiteres Grundprinzip unseres Zusammenlebens diskreditiert hat. Wir leben nicht mehr in einer Ständegesellschaft, in der manche Menschen qua Geburt über anderen stehen. Die gesellschaftliche Übereinkunft heißt vielmehr: Die Elite ist deshalb Elite, weil sie etwas geleistet hat. „Die da oben“ sind besonders klug oder besonders fleißig. Dass wir ihnen dies glauben/unterstellen, legitimiert ihre Position als Elite – und es sorgt umgekehrt dafür, dass alle jene, die es nicht nach ganz oben schaffen, diesen Unterschied akzeptieren. Die Idee lautet: Hätten sie sich mehr angestrengt oder würden sie größere Talente mitbringen, könnten auch sie zur Elite gehören.

So fragwürdig diese Übereinkunft (siehe soziale Mobilität) ohnehin schon lange ist: Donald Trump pulverisiert ihre Glaubwürdigkeit. Er ist weder klug („Belgien ist eine wunderschöne Stadt“) noch fleißig (rund 300 Mal war er während seiner Amtszeit tagsüber lieber Golf spielen als im Oval Office). Das einzige Talent, über das er im Übermaß zu verfügen scheint, ist Rücksichtslosigkeit. Diese Botschaft ist eine Gefahr nicht nur für „die da oben“, sondern wiederum für die Akzeptanz von Autoritäten und Institutionen insgesamt. Wenn offenkundig ist, dass ich nur Ellbogen, Gier und Selbstüberschätzung brauche, um (angeblich) Millionär und schließlich der (angeblich) mächtigste Mann der Welt zu werden, woher soll dann noch Respekt für Menschen in diesen Positionen kommen? Woher Vertrauen in ihre Kompetenz? Woher ein Gefühl von Gerechtigkeit? Die Antworten darauf sollten auch von den Eliten kommen, in ihrem eigenen Interesse.

Konkretes Beispiel: Andreas Scheuer. Ein Minister, der sich im Wahlkampf mit einem umstrittenen Doktortitel schmückt (wobei seine tatsächlichen akademischen Meriten auf Arbeiten zur eigenen Partei beruhen), der das in praktisch aller Welt geltende Tempolimit als „gegen den gesunden Menschenverstand“ ablehnt, der ohne jede Not die Pkw-Maut durchprügelt, wodurch dem Steuerzahler ein Schaden von etlichen Millionen Euro entstehen kann: Wie will so jemand seine Position, seine Privilegien, seine Macht rechtfertigen? Weder durch Ausbildung noch im Amt ist hier irgendeine Art von Qualifikation oder Sachverstand erkennbar, dafür aber ein Übermaß an Überzeugung, genau der Richtige für diesen (oder irgendeinen anderen hoch dekorierten) Job zu sein. Wegen solcher Figuren gibt es so viele Menschen, die Politik für ein schmutziges Geschäft von Egoisten und Selbstdarstellern halten, das letztlich jeder ausüben kann – sogar Donald Trump.

6. Politik braucht Glaubwürdigkeit.

Das klingt pathetisch und sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Aber die Amtszeit von Donald Trump hat bewiesen, dass dies keineswegs so ist. Sie hat deutlich gemacht, dass Unterschiede wieder klar gemacht werden müssen, in der Bevölkerung ebenso wie bei den politisch Verantwortlichen: Wahrheiten sind wertvoller als Lügen. Fakten sind wertvoller als Behauptungen. Integrität ist wertvoller als Opportunismus. Anstand ist wertvoller als Rücksichtslosigkeit.

Alle, die sich vielleicht erhofft hatten, mit einer Prise Populismus ein paar Prozentpunkte für das eigene Wahlergebnis ergaunern zu können, müssen spätestens jetzt erkannt haben: Wer solche Methoden einsetzt, spielt mit dem Feuer und untergräbt das Fundament unseres Zusammenlebens. Wenn Aussagen beliebig werden, wenn niemand mehr Verantwortung für nicht eingehaltene Versprechungen oder nachgewiesene Verfehlungen übernehmen muss, dann kollabiert unser Miteinander, nicht nur im politischen System, aber womöglich dort zuerst. Die nächsten Schritte einer solchen Beliebigkeit wären Anarchie und Chaos.

Es ist natürlich kein Zufall, dass Donald Trump so gerne gegen die Wissenschaft und die unabhängigen Medien hetzt. Erstere ist der wichtigste Eckpfeiler im Kampf gegen eine post-faktische Gesellschaft. Letztere haben mehr denn je die Aufgabe, Aussagen zu dokumentieren, einzuordnen, Fakten zu checken, nachzuhaken, Widersprüche aufzudecken. Es ist erschreckend genug, dass Trump, der eine katastrophale Bilanz vorzuweisen hat, international als Witzfigur betrachtet wird und viele seiner zentralen Wahlversprechen nicht eingehalten hat, um ein Haar erneut zum Präsidenten gewählt worden wäre. Das zeigt, wie irrational Wahlentscheidungen geworden sind. Viele seiner Wähler hätten bei nüchterner Betrachtung feststellen müssen, dass sie hinters Licht geführt worden sind. Dass er nicht das Establishment bekämpft, sondern Steuergeschenke für Großkonzernen beschließt. Dass er keine Mauer zu Mexiko baut, sondern seiner eigenen Familie reichlich Aufträge und Posten zuschanzt. Dass er haarsträubend inkompetent agiert beim Versuch, eine Pandemie in den Griff zu kriegen. Dass er womöglich nicht einmal der mega-erfolgreiche Geschäftsmann ist, der er vorgibt zu sein. Aber vielen von ihnen scheinen all diese leicht verfügbaren Erkenntnisse egal zu sein. Eine nüchterne Betrachtung erfolgt nicht, und so bekam er erneut ihre Stimme.

Diese Wähler wollen nur noch anti sein, ein nicht genauer reflektiertes Gefühl von Frust und Protest artikulieren, und sie sehen (ausgerechnet) in Donald Trump die Figur, um diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen. Dieses Klientel ist nicht klein (auch in Deutschland nicht, wo man unschwer Parallelen zur AfD erkennen kann), aber die Trump-Präsidentschaft hat gezeigt, welchen Preis es kostet, wenn man diese Menschen zwar nicht ernsthaft repräsentieren, aber mit dubiosen Methoden für seine Zwecke instrumentalisieren will. Dass die republikanische Partei so bereitwillig, so flächendeckend und so lange viele ihrer zentralen Werte verraten hat, um den eigenen Kandidaten im Weißen Haus zu halten, der sich in so vielerlei Hinsicht als Schande für die Partei, das Amt und die Nation erwiesen hat, ist ein weitere Aspekt der verlorengegangen politischen Glaubwürdigkeit. Die Aufarbeitung der Trump-Jahre wird entscheidend sein hinsichtlich der Frage, ob der ungerichtete Schaden reparabel ist oder nicht.

Konkretes Beispiel: Fraktionszwang. Es ist zugegebenermaßen schwierig, heute belastbare Mehrheiten in Parlamenten zu bekommen und eine Regierung so mit einem gewissen Maß von Verlässlichkeit führen zu können. Der fleißig praktizierte Fraktionszwang hebt allerdings ein Grundprinzip der Demokratie aus, zumal bei direkt gewählten Kandidaten. Warum soll es ihnen nicht frei stehen, einen Gesetzenentwurf abzulehnen, wenn sie davon nicht überzeugt sind, obwohl er aus der eigenen Fraktion kommt? Erfüllen sie damit nicht das Mandat ihrer Wähler (die den Kandidaten gewählt haben, nicht die Partei)? Sollten Gesetzesvorlagen nicht inhaltlich überzeugen (also im Zweifel auch ein paar Leute aus der Opposition zur Zustimmung bringen können, wenn sie sinnvolle Vorschläge enthalten) statt eine blinde Loyalität nach Parteibuch einzufordern? Diese Praxis diskreditiert letztlich die parlamentarischen Prozesse: Abgeordnete werden mitunter gezwungen, gegen ihre Überzeugung zu stimmen und diese Position auch noch gegenüber ihren Wählern zu vertreten (= schauspielern, lavieren, lügen). Parteien wird die Mühe abgenommen, sich in eine tatsächliche inhaltliche Auseinandersetzung zu begeben. Die Vielfalt an Positionen und Perspektiven im Parlament wird auf ein ritualisiertes Dafür/Dagegen reduziert. Der Glaube, ein Abgeordneter mache sich auf alle Zeiten unwählbar, wenn er in Einzelfällen öffentlich die Stimme gegen die eigene Fraktion erhebt oder anerkennt, dass die politischen Gegner vielleicht auch manchmal gute Ideen haben, verstärkt auf fatale Weise den Eindruck, die Parteien machten Politik in erster Linie für sich selbst und zum Erhalt ihrer Macht – statt für das Volk.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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Ein Gedanke zu “Vier Jahre Trump-Präsidentschaft – und sechs Dinge, die wir daraus lernen sollten

  1. Ein sehr gelungener Text, der sich differenziert mit komplexen Problemen auseinandersetzt. Insbesondere die Teile, die sich direkt mit den USA und den dortigen gesellschaftlichen und politischen Problemen auseinandersetzen, halte ich für gelungen und in der Argumentation absolut nachvollziehbar.
    Die Punkte 5 und 6 benötigen m.E. jedoch weitere Ausdifferenzierung. Die Frage bei den Eliten und ihrem Verhältnis zu den Nicht-Eliten ist doch nicht nur, wie sie Elite werden (durch Können oder vielleicht doch durch Wahlen?), sondern auch, welche Erwartungen an sie gestellt werden und welche Funktion sie als Elite nicht nicht nur im Verhältnis zur Nicht-Elite, sondern eben auch im Binnenverhältnis unter den Eliten haben. Bei Politikern als besonderen Teil der Elite kommen wir dann schnell und hauptsächlich zur Frage der Macht, die sie als zeitlich befristete Funktion auch ausüben müssen. Die anschließende Frage ist dann, wie man diese Macht als Elite ausübt (Stil) und wie man sie systematisch einhegt, um sie entweder in der Fülle oder eben auch im Stil zu regulieren. Die im Text verfolgte Argumentation hat diesen Aspekt der Macht m.E. zu wenig bedacht, sondern ist anscheinend eher dem Wunsch „Legitimation durch Expertise“ entsprungen.
    Auch bei Punkt 6 ist meiner Meinung nach der Machtaspekt zu wenig beachtet. Natürlich besteht allgemein der Wunsch nach „guter Politik“, aber selbst diese ist ohne die Macht, diese auch durchzusetzen (von der Idee über den Beschluss bishin zur Implementierung) letztlich nichts wert. Konkret auf das Problem des Fraktionszwangs bezogen, kann dies eben dann auch bedeuten, diesen als Mittel zu einem „höheren Zweck“ als legitim zu betrachten. Dieser höhere Zweck kann (nicht muss) eben darin liegen, Macht zu erhalten um andere (grundlegendere, bedeutsamere…) politischen Ziele an anderer Stelle oder zu einem späteren Zeitpunkt durchsetzen zu können. Die freie Gewissensentscheidung des einzelnen Abgeordneten kann in so einem Fall eben auch sein, sich entgegen der eigenen Haltung zu einer konkreten Sachfrage dem Fraktionszwang zu unterwerfen. In diesem Sinne hebt der Fraktionszwang dann eben nicht die Grundprinzipien der Demokratie aus, sondern würde diese im Gegenteil stärken, indem über den Fraktionszwang auch die Funktionalität in Teilen gesichert wird. Zumindest wenn man akzeptiert, dass unsere Demokratie zum einen repräsentativ und mit zeitlich begrenzter Macht und über die föderalen Strukturen eben auch in gewissem Maße auf Konsens ausgerichtet ist. Das Gegenmodell wäre dann eine radikal direkte Demokratie.

    Meinen Kommentar betrachte ich als Anregung für weitere qualitativ hochwertige Beiträge von Krafti:-)

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