Künstler*in | Villagers | |
Album | Fever Dreams | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
“Man muss sich vergessen können, dann verliert man sich in der Musik. Die meiste Zeit über passiert nichts, aber dann kommt es ganz zufällig. So wie eine Tür, die sich öffnet: Alles wird klar, und die ganze Musik ist im Kopf. Und dann versucht man, die Noten einzufangen und ins Klavier zu werfen. Das ist ein sehr merkwürdiges Gefühl.”
Diesen Satz von Igor Stravinsky kann man im Film Coco Chanel & Igor Stravinsky hören. Der geschilderte Moment der Eingebung in der Musik verweist auf den klassischen Geniekult, aber auch darauf, wie sehr das Komponieren eine Möglichkeit sein kann, mit einer Kombination aus Inspiration und Handwerk für sich selbst Ordnung zu schaffen, vielleicht sogar ein Ventil.
Conor O’Brien, der Mann hinter Villagers, weiß sehr genau um dieses Potenzial, wie er mit Fever Dreams (dessen Titel ebenfalls auf eine übernatürliche Quelle der Eingebung verweist) zeigt. Die Platte ist über einen Zeitraum von zwei Jahren entstanden, zunächst im Rahmen von Sessions mit seiner Band rund um den Jahreswechsel 2019/2020. Als dann der Lockdown kam, hat Conor O’Brien in seinem Heimstudio in Dublin allein weiter gearbeitet. „Ich denke, man kann mit Sicherheit sagen, dass die letzten Jahre ziemlich hart waren“, sagt er. „Das ständige Trommelfeuer einer zunehmend polarisierten Welt, die auf die ökologische Vergessenheit zusteuert, reicht aus, um jeden in den Wahnsinn zu treiben, mit oder ohne globale Pandemie. Diese Musik zu machen, war wie Balsam für die Seele.“
Sein zentrales Thema für Fever Dreams ist das Betonen des Einfachen und Ursprünglichen, auf das man vertrauen sollte, gepaart mit dem Appell, es ebenso zu schätzen wie seine Mitmenschen. Im Booklet sind die Songtitel in Klammern jeweils noch mit einem Untertitel versehen, dort finden sich dann Aussagen wie The More I Know, The More I Care (der Song dazu ist So Simpatico und erweist sich als niedliche Liebeserklärung, verpackt in sieben Minuten voller schwelgerischer Eleganz) oder Ode To Human Spirit (das gehört zu Restless Endeavour, das beinahe wie frei über einem ziemlich spektakulären Beat improvisiert wirkt). Momentarily kombiniert ein reduziertes, perlendes Klavier und eine Stimme wie aus der Ferne und feiert so die kleine (oder temporäre) Flucht vor all dem Stress, den Missgeschicken und den schlechten Nachrichten der Welt, wieder durch das Besinnen auf die kleinen Dinge, wie es hier in Klammern des Songtitels heißt.
Full Faith In Providence bezeichnet O’Brien als „ein Lockdown-Special, basierend auf dem Klavier meiner verstorbenen Großmutter und einer unheimlichen Stille in meiner Wohnung. Die Gastsängerin Rachael Lavelle ist buchstäblich göttlich; ich bin verliebt in ihre Stimme.“ Das kann man nachvollziehen, ebenso reizvoll ist die Grundstimmung des Stücks, das weise und fragil wie die Lieder von Bill Fay wird. Im schwebenden, fast kitschig schönen Album-Abschluss Deep In My Heart kann man an Nick Drake denken. Die Sieben im Titel von Song In Seven steht für den ungewöhnlichen Takt, den man hier entdecken kann, was allerdings keineswegs dem sehr einnehmenden Charakter des Lieds im Wege steht.
Auch sonst bietet Fever Dreams immer wieder virtuos umgesetztes und sehr inspiriertes Songwriting, wie man das von Villagers kennt. The First Day bietet angedeuteten Sprechgesang ebenso wie einen opulenten Refrain mit sattem Bass, großem Beat und Backgroundsängerinnen. Die Grundstimmung von Circles In The Firing Line ist mellow, aber der Song kennt auch Kraftausdrücke, Momente voller Drama und im ausufernden Outro sogar ein paar Extravaganzen und faustdicke Überraschungen.
Und was hat es nun mit dem Fiebertraum auf sich, nach dem das fünfte Album von Villagers benannt ist? Der gleichnamige Song ist inspiriert vom Roman The Third Policeman aus der Feder von Flann O’Brien. „Es war einfach eines dieser Bücher, die mir die endlosen Möglichkeiten der Kreativität verdeutlichten, als ich sie wirklich brauchte“, sagt Conor. „Es ist ein Lied darüber, wie man sich an den Rand der Dinge stellt, um wieder Klarheit über das Zentrum zu gewinnen.“ Der Song wirkt tatsächlich zunächst spinnert und lädiert, dann aufwühlend und am Ende schließlich beunruhigend, wie der Titel es vermuten lässt. Es gibt auch noch einen Aspekt, der über dieses Lied hinausweist und für den Charakter von Fever Dreams insgesamt bezeichnend ist. „Ich hatte den Drang, etwas zu schreiben, das den Zuhörern ebenso viel gibt wie mir selbst“, sagt Conor O’Brien. „Ich wollte die Leute zum Lächeln bringen, aber auch einen Raum zum Nachdenken schaffen. Ich wollte Nuancen, Wärme und intellektuelle Neugier, alles verpackt in einer Art agnostischem Andachtskompott. Manchmal können die delirantesten Zustände die ekstatischsten, euphorischsten und eskapistischsten Träume hervorbringen.“