Europa kann funktionieren. Von Riga bis Lissabon werden Waren auf dem Binnenmarkt gehandelt. Als politische Einheit bewies die EU unlängst gegen die Hamas oder im Atomstreit mit dem Iran Stärke. Als Friedensgemeinschaft hat die Union dafür gesorgt, dass einstige Erzfeinde nun freiwillige Partner sind.
Gerade diese Idee war es, die das Konzept vom vereinten Europa einst so verheißungsvoll gemacht hat. Doch die Vision ist verblasst. Dass Nachbarn nun Freunde und Grenzen nun offen sind, nehmen viele schon als Selbstverständlichkeit hin. Was stattdessen von Europa beim Bürger ankommt, verbreitet wenig Begeisterung: Die Brüsseler Verwaltung erscheint als weltfremdes Paragrafenmonster, die Gemeinschaftswährung wurde schnell zum Teuro, und die Osterweiterung wird in erster Linie als Bedrohung empfunden. Was die EU ihnen bringt, verstehen die Menschen nicht. Und das liegt nicht an den Menschen, sondern an der EU.
Wenn Angela Merkel mehr Bürgernähe propagiert, trifft sie damit den Kern des europäischen Problems. Zwar zeigte die Kanzlerin kaum wirkliche Lösungen auf. Dennoch ist der Ansatz richtig: Europa muss vor allem übersichtlicher und verständlicher werden. Es muss den Menschen in den mittlerweile 25 Mitgliedsstaaten seine Stärke und seine Stärken vermitteln. Nur dann kann überhaupt so etwas wie eine europäische Identität entstehen, nur dann werden die Menschen wieder an die Idee Europa glauben – und nur dann bekommt die EU auch die Legitimität, die ihr jetzt noch fehlt.
Dass Europa bisher vor allem ein Gedanke ist, der von oben nach unten forciert wird, haben nicht nur die Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden gezeigt. Merkels Beharren auf einem einheitlichen Verfassungsvertrag mag deshalb überraschen. Doch die Kanzlerin weiß: Wenn es tatsächlich gelingen könnte, der EU eine gemeinsame Verfassung zu geben, wäre dies womöglich der von ihr erhoffte Beginn einer neuen Ära, sicher aber das Ende der europäischen Sinnkrise.
Umso wichtiger wird es sein, das (von der EU selbst geschaffene) Verfassungsproblem überzeugend zu lösen. Dass man den nach heftigen Auseinandersetzungen gefundenen Verfassungstext noch einmal neu diskutieren muss, mag lästig erscheinen, könnte aber auch eine Chance werden. Womöglich war Merkel gestern auch aus diesem Grund darauf bedacht, sich für die Zeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr alle Optionen offen zu lassen. Auf die jetzt vorliegende Formulierung pochte sie jedenfalls nicht.