Als der Schweizer Schiedsrichter Carlo Bertolini vor fast genau fünf Jahren das Spiel gegen Israel abpfiff, war es geschafft: Die deutsche U-19-Nationalmannschaft hatte die nächste Runde der EM-Qualifikation erreicht. Mit drei Siegen aus drei Spielen und nur einem Gegentor. Auf den Fußballplätzen in Fulda, Hünfeld und Bad Hersfeld tummelten sich in der Elf von Horst Hrubesch Anfang Oktober 2002 Milchgesichter und Riesentalente. Fünf Jahre danach wollte ich wissen, was aus ihnen geworden ist.
So viel vorab: Die meisten sind heute Fußballprofis, einige sind ganz groß rausgekommen – aber der eine oder andere ist auch in der Versenkung verschwunden.
Die prominentesten Namen bedürfen keiner besonderen Erklärung. Bastian Schweinsteiger (schon damals bei Bayern München) und David Odonkor (schon damals mit atemberaubenden Sprints auf dem rechten Flügel) avancierten zu zwei der Helden des WM-Sommermärchens im vergangenen Jahr. Auch Christian Lell, Michael Rensing oder Piotr Trochowski haben sich mittlerweile in der Bundesliga etabliert.
Eine Klasse tiefer trifft das auf Patrick Milchraum zu, der für Alemannia Aachen kickt und auf bisher 72 Einsätze in der Zweiten Liga kommt. Auch der Mainzer Christian Demirtas ist längst eine feste Größe im deutschen Profigeschäft.
Doch es gibt auch Namen, die längst nicht jedem Fußballfan etwas sagen. Erdal Kilicaslan zum Beispiel. Der Stürmer wurde vor fünf Jahren Torschützenkönig des Mini-Turniers und war Kapitän der deutschen Mannschaft. Acht Treffer gelangen dem gebürtigen Münchner, der damals in der Jugend des FC Bayern spielte, in den Partien gegen San Marino, Aserbaidschan und Israel. Inzwischen ist er bei Gaziantepspor in der türkischen Süperlig aktiv. „Ich hatte bei Bayern den Eindruck, dass Trainer Hermann Gerland nicht mehr auf mich gebaut hat. Und dann wollte ich gerne die Chance nutzen, in der ersten Liga zu spielen“, erklärt er die Gründe für seinen Wechsel vor drei Jahren.
In der ersten Saison bei Gaziantespor wurde er noch zu einem Zweitligisten ausgeliehen, wo er in 17 Spielen neun Tore machte. In der vergangenen Spielzeit kam er auf zwei Treffer in 18 Erstliga-Einsätzen. In der laufenden Runde hat er bisher zwar alle Spiele bestritten, ein Treffer ist ihm allerdings noch nicht gelungen. „Aber die Tore kommen schon noch“, verspricht er. Die nächsten Karriere-Schritte hat Kilicaslan schon fest geplant: „Ich möchte irgendwann zu einem der großen Clubs in Istanbul wechseln. Von dort kann ich dann auch in die Bundesliga“, erklärt er. Dort könnte es dann ein Wiedersehen mit den alten Kameraden geben: „Lahm, Lell, Ottl und Rensing zählen zu meinen engsten Freunden. Wir telefonieren oft und sehen uns auch, wenn ich in München bin“, erzählt der 23-Jährige.
Neben dem Kapitän der damaligen Elf hat es noch andere ins Ausland gezogen: Stefan Hoffmann wechselte von der mittlerweile nur noch viertklassigen Reserve von Borussia Mönchengladbach nach Griechenland. Dort ist der Erstliga-Absteiger Aigaleo Athen sein neuer Verein. Eren Sen verließ den Schweizer Erstligisten FC Thun, für den der Stürmer drei Tore erzielt hatte. Der Deutsch-Türke schnürt nun für Konyaspor die Fußballschuhe, muss dort nach einem schwachen Start aber wohl um den Klassenerhalt in der Süperlig bangen.
Richtig rund läuft es derzeit für Alexander Ludwig. Der Ex-Herthaner, der vier Bundesligaspiele für den Hauptstadtclub bestritt, kam vor der Saison von Dynamo Dresden zum Zweitliga-Neuling St. Pauli und spielt dort bisher ganz stark. Ein Tor und zwei Assists stehen für den Mittelfeldmann bereits zu Buche. Er erinnert sich an die Elf von damals als „ein starkes Team“. Ob die damalige Mannschaft die heutige U 19 geschlagen hätte? „Auf jeden Fall! Aber in der U 19 heute spielen auch super Jungs. Die werden sicher ihren Weg gehen“, sagt Ludwig.
Wem er von den einstigen Mitspielern eine steilere Karriere zugetraut hätte? „Eigentlich nur mir selbst (lacht)! Das war schon ein hochtalentierter Jahrgang damals, und fast alle haben sich irgendwie durchgesetzt.“
Für einige von ihnen lief es allerdings nicht so rund wie erwartet. Stefan Jarosch war damals beispielsweise Stammspieler in der deutschen Abwehr. Ein Jahr später wurde er mit den A-Junioren des VfB Stuttgart Deutscher Meister. Momentan ist der gebürtige Böblinger beim Drittligisten Regensburg unter Vertrag – dort aber Stammspieler. Auch Abwehrkollege Sven Schaffrath (Rot-Weiß Ahlen) kickt derzeit nur drittklassig, ist aber ebenfalls eine feste Größe bei seinem Club. Das gilt auch für David Müller (Oberhausen). Mittelfeldmann Christian Streit kommt hingegen für Union Berlin in dieser Saison erst auf 72 Minuten Einsatzzeit. Noch eine Klasse tiefer ist Andreas Spann im Einsatz. Der Stürmer ist mittlerweile in der Oberliga Württemberg beim 1. FC Heidenheim tätig.
Beinahe völlig in der Versenkung verschwunden ist Michele Fasanelli. In allen drei U-19-Spielen kam der damalige Gladbacher zum Einsatz. Mittlerweile läuft er für den TuS Grevenbroich auf – in der Landesliga Niederrhein. Seine ehemaligen Teamkollegen sieht er jetzt nur noch im Fernsehen.
„Eigentlich habe ich zu keinem mehr Kontakt“, erzählt er. Vor fünf Jahren war er noch der zweitbeste Torschütze in der EM-Qualifikation. „Das war eine super Zeit und eine tolle Truppe“, erinnert er sich. Doch 2003 warf ihn ein Kreuzbandriss aus der Bahn. Bei Mönchengladbach fand er danach keinen Anschluss mehr, so dass er zum Oberligisten Solingen wechselte. Mittlerweile ist er in Grevenbroich, das aktuell auf Platz acht in der Landesliga rangiert. „Mehr geht im Moment nicht, weil ich beruflich so stark eingespannt bin. Im November steht die Abschlussprüfung als Bankkaufmann an“, erzählt er.
Die schwere Verletzung habe ihm klar gemacht, dass er ein zweites Standbein braucht. Deshalb steht der Fußball momentan erst einmal nur an zweiter Stelle. Doch irgendwann will er noch einmal höherklassig spielen. „Bundesliga wird für mich sicherlich schwer. Die Regionalliga ist aber auf jeden Fall noch möglich“, umschreibt der Stürmer seine Ziele. „Ein bisschen komisch“ fühle es sich schon an, die alten Kollegen nun in der Champions-League und bei der WM zu sehen, sagt er. Aber Fasanelli hofft auf bessere Zeiten. „Ich bin ja erst 23! Und Fußball ist nun einmal ein Tagesgeschäft“, sagt er.
Das muss er auch erkennen, wenn im Spiel oder Training in Grevenbroich mal etwas misslingt: „Einige stänkern dann schon und fragen: Der soll mal Nationalspieler gewesen sein? Aber es gibt auch genug Tage, an denen ich das unter Beweis stellen kann.“
Immerhin hat es ihn nicht so schlimm erwischt wie Torwart Markus Grünberger: Wegen chronischer Knieprobleme musste er seine Karriere inzwischen beenden.