W. Somerset Maugham – „Der Magier“

Autor W. Somerset Maugham

W. Somerset Maugham Der Magier Kritik Rezension
Die Titelfigur in „Der Magier“ ist von Aleister Crowley inspiriert.
Titel Der Magier
Verlag Süddeutsche Bibliothek
Erscheinungsjahr 1908
Bewertung

Arthur Burdon ist ein aufstrebender Chirurg in London und steht kurz vor seiner Hochzeit. Schon lange hat er der deutlich jüngeren Margaret, die er bereits seit ihrer frühesten Kindheit kennt, die Ehe versprochen – und ihr dabei zugleich den Herzenswunsch eines einjährigen Aufenthalts in Paris erfüllt, wo sie sich ihrer Vorliebe für Kunst hingeben kann, während er in London weiter an seiner Karriere als Arzt bastelt und alles für den künftigen gemeinsamen Hausstand vorbereitet.

Die beiden erscheinen als ideales Paar. Jeder, der ihnen begegnet, beobachtet eine unschuldige Liebe voller Verständnis, Respekt und gegenseitiger Bewunderung. Als Arthur zu Besuch nach Paris kommt, lernt das Pärchen bei einem Abendessen den mysteriösen Oliver Haddo kennen, der sich selbst als Magier bezeichnet. „Er schien außerhalb der Menschheit zu stehen“, sagt ein gemeinsamer Freund über diese Figur, die ebenso großspurig wie unhöflich, hässlich und zwielichtig auftritt. Trotz dieses Charakters übt Haddo eine seltsame Faszination auf Margaret aus. Sie treffen sich heimlich und brennen schließlich gemeinsam durch, ohne dass Arthur etwas davon geahnt hätte. Er wähnt dunkle Mächte am Werk und will Margaret aus der Beziehung mit Haddo befreien – erst recht, als sich die Gerüchte mehren, dass sie von ihm grausam behandelt und für finstere Rituale missbraucht wird.

W. Somerset Maugham, der 1874 in Paris geboren wurde und nach seiner Jugendzeit in England selbst Medizin studiert hat, macht aus Der Magier einen auch heute noch faszinierenden Roman, aus zwei Gründen. Erstens siedelt er die Handlung im Paris des Jahres 1900 an. Man spürt auf diesen Seiten den Geist des Fin de siècle und versteht schnell, warum Maugham von seinem Zeitgenossen D. H. Lawrence als ein glänzender Beobachter („Menschen und Umwelt gewinnen bei ihm höchste Präsenz.“) gepriesen wurde. Zugleich begeben wir uns hier in ein Zeitalter der wissenschaftlichen Triumphe. Die Menschheit schien drauf und dran, auch die letzten Rätsel über sich selbst, die Welt und das Universum zu lösen. Plötzlich verkörpert Haddo, den W. Somerset Maugham nach eigenen Angaben nach dem Vorbild von Aleister Crowley gestaltet hat, aber ein ebenfalls blühendes Milieu voller Aberglaube, Spiritismus und Spuk. Der Versuch, eine überirdische, göttliche Macht zu verkörpern (Haddo) trifft hier auf die Frage, ob man an so etwas (noch) glauben kann.

Diese Frage stellt sich nicht nur für den denkbar nüchternen, pragmatischen Arthur Burdon. Wenn Oliver Haddo seine vermeintlich überirdischen Kräfte andeutet (mit den Toten sprechen, plötzlich wie aus dem Nichts erscheinen, unempfindlich für den Biss einer Giftschlange sein, auf mystische Weise mit Menschen in Kontakt stehen, die sich in einem ganz anderen Teil des Landes aufhalten), geht die Skepsis vielmehr so weit, dass auch an seiner Aufrichtigkeit (oder seiner geistigen Gesundheit) gezweifelt wird. „Es ist unmöglich zu wissen, wieweit er das, was er sagt, wirklich auch glaubt. Ist er ein Angeber oder ein Narr? Macht er sich selbst etwas vor oder lacht er sich ins Fäustchen über die Dummheit derer, die ihn ernst nehmen?“, heißt es dazu im Roman. In diesem Zweifel steckt natürlich auch der Konflikt zwischen dem Handwerk (des Arztes) und der Fantasie (des Magiers, aber auch der künstlerisch begabten Margarete), zwischen Fleiß und Genie.

Der zweite Grund für den Reiz von Der Magier lautet: Dies ist nicht nur die Geschichte einer vermeintlichen Geiselnahme nach einer magischen Manipulation, sondern auch die Geschichte einer Befreiung. Das kann man als Leser*in zunächst an Arthur beobachten. Früh stellt sich die Frage, ob er nicht viel zu engstirnig ist in seinem Beharren auf Ratio, ob es bei allem Vertrauen in das Wirken der Naturgesetze nicht Aspekte des Lebens gibt, die er durch diese Perspektive negiert und versäumt. An einer Stelle wird er passend dazu als sehr fokussiert, dadurch aber auch „in vieler Hinsicht beschränkt“ geschildert. „Literatur und Kunst bedeuteten ihm wenig. Auch mit den reizvollen Belanglosigkeiten, mit denen man ein guter Gesellschafter wird, hielt er sich nicht auf.“

Es gilt umso mehr für Margarete. Passt sie wirklich so perfekt zu Arthur, wenn sie sich zugleich so sehr von all dem angezogen fühlt, wofür Oliver Haddo steht? Hätte sie mit Arthur wirklich eine glückliche Ehe führen können? Sie zweifelt selbst, als sie ihre dunkle Seite, ihre Eitelkeit und eine fast masochistische Neigung entdeckt hat. Als sie Arthur wieder trifft und von ihren Erfahrungen seit der Flucht mit Haddo berichtet, gesteht sie: „Es ist, als wohnten zwei Wesen in mir, und mein eigentliches Ich, das frühere, das du gekannt und geliebt hast, wird von Tag zu Tag schwächer, und bald wird es endgültig tot sein. Dann wird in dem jungfräulichen Leib nur eine geile Seele zurückbleiben.“

Es ist dieser Blick auf Gelüste, Sehnsüchte und Verlangen, der in Der Magier für Spannung sorgt, und Maugham („Kein Schriftsteller beherrschte sein Handwerk besser“, hat Raymond Chandler über ihn gesagt) steigert diese durch sehr wirkungsvolle Kniffe. Er setzt auf einen auktorialen Erzähler, der über alle Figuren etwas mehr weiß, als man als Leser*in gerade wissen kann, nur nicht über Haddo. Der erscheint auch deshalb so schillernd und undurchdringlich, weil im Roman immer wieder mit Anekdoten, Riten und Bräuchen exotischer Kulturen gearbeitet wird, wobei der Autor sicherlich einige der Erfahrungen einfließen ließ, die er bei seinen Einsätzen als Geheimagent für die britische Krone in vielen Ländern des Commonwealth gesammelt hat. Nicht zuletzt durchläuft ausgerechnet der angeblich so vielgestaltige Oliver Haddo in diesem Buch keine Verwandlung. Er ist der Bösewicht in dieser Geschichte, doch anders als Arthur und Margaret entwickelt er sich nicht weiter, sondern bleibt allein mit seinen Dämonen und okkulten Experimenten im Dachgeschoss seines Landsitzes, wo er versucht, Homunculi zu erschaffen – vielleicht auch als bessere, liebenswertere Ebenbilder seiner selbst.

Bestes Zitat: „Dr. Porhoet wusste, dass eine Mannigfaltigkeit der Persönlichkeit eines Mannes zwar größeren Reiz verleiht, ihn aber doch leicht schwächen kann. Wenn man seine Kollegen übertreffen will, bedarf es der Begrenztheit.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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