Als Madsen vor 20 Jahren ihr erstes Album vorlegten, hätte ich in einer Rezension über die Platte beinahe das Wort „Kirchentags-Rock“ geschrieben. Solche Formulierungen würde ich heute natürlich nie mehr in Betracht ziehen. Denn erstens liebe ich Madsen (damals wie heute). Zweitens habe ich es nicht mehr nötig, mich mit gehässigen Bemerkungen auf Kosten vollkommen korrekter Bands zu profilieren. Und drittens ist Weihnachten, man sollte also friedlich sein. Die Band aus dem Wendland weiß das natürlich bestens. Das besagte Debütalbum haben sie zum Jubiläum gerade neu veröffentlicht, und ihre Fähigkeit, versöhnlich, aufbauend und unbedingt hoffnungsfroh zu klingen (daher die Idee mit dem Kirchentag) mündet jetzt tatsächlich in einem Album mit selbst geschriebenen Weihnachtsliedern. „Wir mögen Weihnachten. Sich auf das Jahr besinnen, Dinge verschenken, mit der Familie abhängen, gemeinsam kochen, das Haus schmücken, Weihnachtsplatten hören – all diese Dinge lieben wir“, lässt die Band wissen. Die Weihnachtsplatte, erschienen am 6. Dezember, ist dabei keineswegs streng innerhalb der Adventszeit entstanden. Schon 2023 hatten Madsen mit Es geht wieder los (wird auch auf dem Album enthalten sein) einen eigenen Song für die Festtage geschrieben, nach und nach entstanden dann immer mehr Stücke rund um dieses Thema, bis genug Material für ein ganzes Album vorlag. Die Single Einsame Herzen (****) ist klanglich sanft, niedlich und zauberhaft, inhaltlich einfühlsam, rührend und tröstlich. Madsen verkneifen sich Firlefanz wie Glöckchen und Santa-Referenzen und setzen stattdessen vollkommen auf die Erkenntnis, dass Weihnachten ein Fest des Mitgefühls sein sollte. „Unsere Weihnachtsplatte soll eine Alternative zu all dem musikalischen Kitsch sein, der sich Jahr für Jahr wiederholt. Auf die eine klassische Ballade zwischen einigen Punk- und Rocksongs wollten wir aber trotzdem nicht verzichten. Einsame Herzen ist aber keineswegs eine pure Romantisierung der Feiertage. Das Lied erzählt von all den Menschen, die nicht das Privileg stabiler Familienverhältnisse haben. Menschen, die nicht wissen wo und mit wem sie die Feiertage verbringen sollen. Oder auch von Menschen, die überhaupt kein Zuhause haben. Diese Menschen müssen gesehen werden – nicht nur an Weihnachten“, sagt Sänger Sebastian Madsen.
Eine gewisse Tradition haben die selbst verfassten Weihnachtslieder auch bereits bei Ina Bredehorn aka Deine Cousine. Wann schneit’s mal wieder auf St. Pauli? (***) will sie in diesem Jahr wissen. Auf der einen Seite gibt es da Glöckchen und Chorgesang, auf der anderen Seite ein knüppelndes Schlagzeug und viel Tempo. Der Refrain schockt kurz, weil man an Wann wird’s mal wieder richtig Sommer denken muss, bevor die Melodie sich doch noch von Rudi Carrell wegbewegt und als Referenz klanglich eher etwas wie Merry Christmas (I Don’t Want To Fight Tonight) von den Ramones oder inhaltlich Fairytale Of New York von den Pogues erscheint, denn der Text zeugt von bester Kiez-Kenntnis der Hamburgerin. Wann schneit’s mal wieder auf St. Pauli? zeigt letztlich, dass es einfach Orte gibt, zu denen Stille Nächte nicht passen. Auf dem dritten Album von Deine Cousine wird das Lied indes nicht enthalten sein, Freaks wird auch erst am 9. Mai erscheinen.
Schon am 7. März kommt Loves You heraus, das Debütalbum von No Body. Dahinter verbirgt sich die neue Band von Aydo Abay (ehemals Blackmail und etliche andere), der hier mit Beatsteaks-Drummer Thomas Götz und Homeproducer Sascha Wiecinski zusammenarbeitet. Rausschmeißer auf der Platte wird Pancake Heart (****) sein, das zugleich der zweite Vorab-Song ist und von Abay bezeichnet wird als „ein Weihnachtslied, ohne eins sein zu wollen. Es geht um Liebe, Vergebung und Demut. Was kann man sich mehr zu Weihnachten wünschen?“ Das Stück kombiniert eine dominante Piano-Figur mit einem Wall of Sound, dazu viel Melancholie mit verschrobener Größe, was ungefähr in die Richtung der Manic Street Preachers verweist. Ein Glücksgriff ist die Idee, durchweg auf die zweite Stimme von Suzie Kerstgens (Klee) zu setzen. „Pancake Heart ist wahrscheinlich das textlich positivste Lied, das ich jemals geschrieben habe. Der Titel ist der Simpsons-Folge entliehen, in der Homer aus Liebeskummer den Grunge erfindet“, verrät Aydo Abay. „Kurzerhand haben wir Suzie von Klee noch gefragt, ob sie ihre wundervolle Stimme auf meine legen könnte und fertig waren wir. Passt auch ganz gut, da ich Heiligabend meist bei Suzie, Schorle und weiteren Freunden verbringe, da meine Eltern kein Weihnachten feiern und ich dieses Fest so sehr liebe. Ich wünsche allen frohe Weihnachten, ganz viel Liebe in trauter Gesellschaft, viel Gesundheit und einen guten Rutsch in ein hoffentlich friedliches und frohes 2025. Passt auf euch und andere auf und erfreut euch an diesem Lied, wenn ihr wollt. Sonst sucht euch ein anderes. Es gibt genügend Auswahl.“
„I’m so tired of hearing these awful Christmas songs“, bekannt Richard Dawson in seiner neuen Single Boxing Day Sales (****) und liefert damit natürlich gleich selbst das beste Gegenmittel. Das Lied ist so schrammelig, wie man das von diesem britischen Folk-Unikum kennt, dabei aber sehr charmant und durchaus eingängig. „Ich wollte einen total simplen Popsong machen“, sagt Dawson. „Etwas Leichtgewichtiges, wie ein Paar lustige Socken oder ein Plastikpuzzle, das man an Weihnachten auspackt und dann zehn Jahre später wiederfindet.“ Beispielsweise mit einem extrem schrägen Bläsersolo und der Verballhornung von Reklame-Slogans, die sich den weihnachtlichen Shopping-Rausch zunutze machen wollen, zeigt er, dass er mit der Grundidee des Fests der Liebe womöglich durchaus weiterhin etwas anfangen kann, während ihm indes die Umsetzung anno 2024 vollkommen zuwider ist. Unterstrichen wird das vom wunderbaren Videoclip (Regisseur: James Hankins), für den sich Richard Dawson in verschiedene Schaufenster in London gestellt hat. Am 14. Februar erscheint dann sein neues Album End Of The Middle.
„Ich mag es, Songs zu covern, die die Leute gut kennen. Das habe ich während meiner gesamten Karriere gemacht“, hat Grammy-Preisträger Robert Glasper unlängst im Gespräch mit Apple Music erzählt. Sich dann auch an Weihnachtsklassikern zu versuchen, ist naheliegend, und genau das tut der Pianist auf seinem Album In December. Die Tracklist offenbart neben Gaststars wie Cynthia Erivo (The Color Purple), Alex Isley oder PJ Morton allerdings auch einige Eigenkompositionen wie December (***1/2), für das Sängerin und Schauspielerin Andra Day die Stimme beisteuert. Das Lied hat all die typischen Zutaten von Neo-Lounge-Soul, vom getupften Klavier über den Kontrabass bis hin zum Besenschlagzeug. Allerdings hat es auch eine zweifelsohne reizvolle Atmosphäre, wie die musikalische Entsprechung der Kerzen und Kronleuchter, die es im Video zu sehen gibt. „Die größte Herausforderung bei einem Weihnachtsalbum war es, es so zu machen, dass es sich festlich anfühlt, aber gleichzeitig echt und nicht kitschig ist. Bei diesem Album ging es mir weniger um Weihnachtslieder als vielmehr um Lieder, die sich während der Feiertage gut anfühlen. Ich habe mich davon ferngehalten, zu viel über Weihnachten und den traditionellen Jargon nachzudenken, und habe mich auf die realen Dinge konzentriert, die Menschen während der Feiertage durchmachen“, sagt Glasper. Das ist hier bestens gelungen.