Neue Weihnachtslieder oder überhaupt ein bisschen Abwechslung jenseits der immer gleichen Radiohits zu finden, ist nicht einfach. Molly Burch nimmt sich dieser Aufgabe an. Ihre einleuchtenderweise The Molly Burch Christmas Album genannte neue Platte, die neben Coverversionen auch zwei Originale enthält, ist schon seit 15. November draußen, jetzt gibt es mit der Eigenkomposition Holiday Dreaming (***1/2) eine neue Kostprobe daraus. Das ist so entspannt und heimelig, dass es tatsächlich auch dann bestens zu Besinnlichkeit der Adventszeit passen würde, wenn das Video nicht auch noch Tannenbäume, Plätzchenbacken und Musikerkollegen mit Santa-Claus-Mützen zeigen würde. Für das Album hat sich die Songwriterin aus Austin, unterstützt von den Comedians Kate Berlant und John Early, natürlich auch Last Christmas (***1/2) angenommen, das bei ihr nicht nur eine lustige Rahmenhandlung rund um eine Anti-Liebeskummer-Party bekommt, sondern auch einen sehr netten Lo-Fi-Charme. „Ich hatte noch nie so viel Spaß daran, eine Platte aufzunehmen. Ich hoffe, es ist ein Weihnachtsalbum geworden für Leute, die Weihnachtslieder mögen und solche, die sie nicht leiden können. Mögen diese Songs ein frohes neues Jahr und viele warme, glückliche Nächte einläuten.“
Natürlich macht Noel Gallagher (glücklicherweise) keine richtigen Weihnachtslieder. Nicht mit Oasis, und nicht mit seinen High Flying Birds. In die aktuelle Single Wandering Star (****1/2) hat er nun aber zumindest ein paar Glocken und eine wunderhübsche Botschaft über die Kraft des Zusammenhalts eingebaut. Außerdem hat er ein Video gemacht, in dem der Weihnachtsmann beinahe zum Gangster und Actionhelden wird. Schauspieler Steve Graham und seine Frau Hannah Walters spielen die Hauptrollen. Regisseur Dan Cadan sagt: „Das ist kein Anti-Weihnachts-Video, ganz im Gegenteil. Wir wollten all diese Plagen herausstellen, die einem zur Last fallen können, vor allem in der Weihnachtszeit. Das kommerzielle Bombardement und der Druck der Konsumgesellschaft auf alleinerziehende Eltern, die einfach alles tun würden, um ihre Kinder zu Weihnachten diesen Zauber spüren zu lassen, den so viele für selbstverständlich halten.“ Wenn die Christbäume längst entsorgt sind, nämlich Anfang März, wird die EP Blue Moon Rising erscheinen, auf der Wandering Star dann auch enthalten ist. Kein Wunder, sagt Noel Gallagher doch scherzhaft darüber: „Es ist so gut, dass es eigentlich 5,4 Leute gebraucht hätte, um so ein gutes Lied hinzubekommen. Es ist schon jetzt ein Höhepunkt in unseren Konzerten, obwohl wir es noch nie live gespielt haben.“
Nicht wirklich ein Weihnachtslied ist Mad World, das Tears For Fears vor 35 Jahren veröffentlicht haben. Aber dank der Version von Gary Jules, der 2003 damit eine Christmas Number One hatte, ist der Song doch recht stark mit dem Fest assoziiert. Vielleicht auch deshalb hat James Gillespie dieses Lied gewählt, um sich zum Jahresende bei seinen Fans zu bedanken, die ihm 2019 unter anderem satte 67 Millionen Streams beschert haben. Aufgenommen hat er seine Interpretation (***), die auch schon in seinen Konzerten zu hören war, in Hotelzimmern und Zügen. Der in England geborene und in Schottland aufgewachsene Sänger zeigt auch hier, was ihm 2019 so viel Zuspruch gebracht hat: Die Musik ist ruhig und gefällig, aber man hört in seiner Stimme, dass darunter viel Kraft und sogar Wut lauern können.
Phoebe Bridgers hat schon vor zwei Jahren mit Have Yourself A Merry Little Christmas ihre Vorliebe für Weihnachtslieder offenbart. Jetzt legt sie nach und hat sich für 7 O’Clock News/ Silent Night (***) sogar Verstärkung in Form von Fiona Apple und Matt Berninger (The National) geholt, der im dazugehörigen Video den Nachrichtensprecher gibt (damit wird eine Idee aufgegriffen, die schon Simon & Garfunkel hatten, heutzutage sind die Schlagzeilen aber noch mehr von Korruption und Frauenfeindlichkeit geprägt) und sich wohl zugleich für die Gastrolle revanchiert, die Phoebe Bridgers im Oktober auf seiner ersten Solosingle hatte. Wie es sich im Advent gehört, ist damit auch eine gute Tat verbunden: Alle Einnahmen gehen an Planned Parenthood. Die Künstlerin sagt dazu: „Frohe Weihnachten an alle, deren Familien im Wortsinne oder im übertragenen Sinne von Donald Trump auseinandergerissen wurden. Und an die Leute in meiner eigenen Familie, die rassistisch, fremdenfeindlich oder heuchlerisch sind: Fickt euch!“
Nach der sicherlich turbulenten Tour zusammen mit Die höchste Eisenbahn hat Tristan Brusch offenkundig Lust auf Besinnlichkeit. Auch er hat sich dafür ein paar Gäste eingeladen: Mine, Isabel Ment, Charlotte Brandi, Emma, Luca Vasta, Bayuk, Fatoni, Ramnäs, Schmyt, Philipp Steinke und Sam Vance-Law unterstützen ihn für die Single Weihnachtszeit Traurigkeit (***1/2), die ihrem Titel etwa mit Zeilen wie diesen alle Ehre macht: „Ganz heimlich und kalt / wie ein Hauch durch den Türspalt / kommt schon / die Depression.“ Zur Entstehung berichtet Tristan Brusch: „An Halloween saß ich zwei Stunden im Stau aufgrund eines wirklich fürchterlichen Unfalls auf der A2. Wie ich so in meinem Auto vor mich hin döse, kommt mir dieses Lied entgegen geflattert. Habe dann meine Freunde gefragt, ob sie ein bisschen Kammermusik mit mir machen möchten: et voila!“ Im Januar ist dann wieder Action angesagt, dann ist er mit der EP Operationen am faulen Zahn der Zeit auf Konzertreise.
Gleich zwei Weihnachtsklassiker interpretiert Sasami auf ihrer aktuellen Single neu, die sie gemeinsam mit Kyle Thomas (alias King Tuff) in Los Angeles aufgenommen hat. lil drmr bb heißt die Veröffentlichung, und den ersten Titel kann man folglich recht problemlos erraten. Little Drummer Boy (***1/2) wird in ihrer elektronischen Version fremdartig, beunruhigend und irritierend, gerade weil die Monotonie darin betont wird. Wohl selten klang die Zeile “Me and my drum” so einsam. Dazu gibt es neben dem ebenso ungemütlichen eigenen Weihnachtssong It’s You (Textprobe: “It’s the time of year for firelight / but the holidays just don’t feel right“) auch noch ein Cover von Silent Night. Na dann: Frohes Fest!