Wet Leg – „Wet Leg“

Künstler*in Wet Leg

Wet Leg Review Kritik
Das Albumcover passt perfekt zum Wesen von Wet Leg.
Album Wet Leg
Label Domino
Erscheinungsjahr 2022
Bewertung

Da haben sich zwei gefunden. Zwei, die vielleicht selbst nicht damit gerechnet hatten, sich so gut zu verstehen. Zwei, zwischen die jetzt kein Blatt Papier mehr passt. Zwei, die beschlossen haben, gemeinsam jede Menge Spaß zu haben. Diese Botschaft vermittelt das Albumcover, und sie passt genau für Rhian Teasdale und Hester Chambers, die gemeinsam Wet Leg sind.

Die beiden Engländerinnen kommen von der Isle of Wight und haben sich als 17-Jährige im College kennengelernt. Zunächst hatten sie aber wenig miteinander zu tun. Stattdessen machten sie jede für sich Musik, Rhian war allerdings zunehmend desillusioniert davon, als sie schließlich Hester bat, zu einigen ihrer Songs die Gitarre beizusteuern. „Ich dachte, es könnte Spaß machen, wenn wir die Lieder zusammen spielen. Und es machte verdammt viel Spaß“, sagt Rhian, die bei sechs der zwölf Songs auf diesem Debütalbum die alleinige Autorin ist, fünf andere gemeinsam mit Hester geschrieben hat. „Wir haben beide vorher in Bands gespielt, immer mit Jungs. Und dabei habe ich erlebt, dass Jungs sehr klare Ansagen machen. Mit Hester war das anders. Wir haben uns gegenseitig sehr viel Raum gelassen. Auch diese Konkurrenz, wer von uns nun technisch besser Gitarre spielt, gibt es nicht mehr. Es geht nur darum, ob es gut klingt“, sagt sie. Für ihre Bandkollegin war die neue Konstellation als Duo ebenfalls eine Offenbarung: „Es war schön, dass mir endlich einmal niemand gesagt hat, was ich zu tun habe. Ich konnte dadurch viel mehr von meinem Gehirn und meiner Stimme einbringen“, sagt Hester.

Was sie daraus gemacht haben, ist nichts weniger als spektakuklär. Wet Leg haben eine Coolness, wie man sie eigentlich nur in Kalifornien lernen kann, schon auf ihrem ersten Album einen enorm eigenständigen Sound mit hohem Wiedererkennungseffekt und viel Selbstbewusstsein, das sich immer wieder auch aus dem Stolz darauf speist, dass sie das alles auch ohne (oder sogar gegen) die Jungs da draußen hinbekommen haben. Auch ein Sommer, den sie als Besucherinnen gemeinsam bei vielen Festivals verbrachten, stärkte diesen Gedanken und half ihnen, Selbstvertrauen, Fokus und Wagemut zu gewinnen. „Wenn man auf einem Festival ist und ein bisschen angeheitert ist, kommt man auf gute Ideen. Man bekommt so eine Art trunkene Klarheit der Dinge“, sagt Rhian. Das nächste Ziel war somit, selbst aufzutreten und so viel Spaß zu haben wie all die Bands, die sie noch aus dem Publikum beobachtet hatten.

Zum daraus folgenden Do-It-Yourself-Ansatz passt nicht nur, dass Hester die Covermotive der Singles ihrer Band gemalt und Rhian die Regie bei den Videoclips geführt hat. Als sie im April 2021 mit Produzent Dan Carey dieses morgen erscheinende Album aufnahmen, hatten sie auch einen großen Teil der Songs schon fertig. Viele der Elemente aus den Demos, die sie zuhause mit Garageband produziert hatten, wurden auf Wet Leg einfach übernommen („Sie klingen zum Teil super schrottig, aber sie haben eine Identität,“ sagt Rhian). Ungewöhnlich ist auch, dass sie gleich das gesamte Album aufnahmen, bevor auch nur eine Single veröffentlicht war und man somit einschätzen konnte, ob die Welt da draußen überhaupt Interesse an Wet Leg hat. „Wir dachten, wir müssen das Zeug aufnehmen, damit es eingeloggt ist. Bloß keine Zeit verschwenden! Und es waren gerade ohnehin keine Konzerte möglich, also haben wir das Beste aus der Zeit gemacht, bevor wir rausgehen und die Songs spielen konnten.“

Als das dann möglich war, räumten Wet Leg unter anderem im Vorprogramm von Chvrches und Inhaler ab, schon die erste Single deutete dann mehr als an, dass hier etwas richtig Großes im Gange war: Chaise Longue kam in Windeseile auf mehr als eine Million Streams, und passenderweise spielt das Duo hier schon ironisch mit dem Rockstar-Gestus. „Hey you in the front row, are you coming backstage after the show? / because I’ve got a chaise longue in my dressing room / and a pack of warm beer that we can consume“, heißt es zu einem Bass und Beat, der an den Breeders geschult sein könnte, und mit einer umwerfenden Dynamik am Ende, die einem Sog, Wirbel und Taumel gleicht. „Das Lied ist ziemlich schlicht“, sagt Rhian. „Der erste Eindruck von uns sollte sein, dass wir nicht wie andere Bands sind. Wir geben uns nicht diesem ‚Leiden an der Kunst‘-Ding hin. Wir sind albern, wir haben einen Sinn für Humor, und wir wollten von Anfang an zeigen, was man von uns zu erwarten hat.“

Der Verzicht auf Perfektionismus, die Fähigkeit, eigene Schwächen zu thematisieren, und die Erfahrung, wie hilfreich und spaßig es sein kann, auch mal Fünfe gerade sein zu lassen, sind tatsächlich zentrale Zutaten für dieses Album. „Ich wollte lustige Songs schreiben, ich wollte nicht zu sehr in traurigen Gefühlen schwelgen. Ich wollte Sachen schreiben, die Spaß machen, wenn man sie hört, und Spaß machen, wenn man sie spielt. Auch wenn an einigen Stellen auch immer wieder etwas Traurigkeit durchsickert“, beschreibt Rhian den Ansatz.

Loving You ist ein sehr treffendes Beispiel dafür: Der Track lebt von einem sehr leichtfüßigen Rhythmus und einer besonders hohen Gesangsstimme, was in der Summe zunächst sehr niedlich klingt. Aber es sind unter anderem Zeilen wie „I used to want to love you like you wanted me to / now I want to hate you like I tell you I do“, die dafür sorgen, dass es nicht naiv klingt. In Supermarket trifft ein träger Chorgesang auf mehr als eine Prise Wahnsinn, Ur Mum ist herrlich trocken und straight, bis mit einem elf Sekunden langen Schrei am Ende die pure Verzweiflung hereinbricht. Das etwas zurückgenommene I Don’t Wanna Go Out hat eine beeindrucken Autorität, wie man das etwa von Courtney Barnett kennt.

„Wie eine surrealistische Prärie, aber mit Hummerscheren. Sehr verträumt“, beschreibt Hester die Ästhetik von Wet Leg, und wer das ein bisschen wolkig oder gar psychedelisch findet, kann beispielsweise in Angelica mit seinem Sixties-Gitarreneffekt und der ungewöhnlichen Gesangsmelodie eine Bestätigung finden. Es ist ein Song über eine schlechte, langweilige Party, der auf verspielte Weise mystisch, zwischendurch aber auch richtig heavy wird. Convincing, geschrieben und gesungen von Hester Chambers, hat einen ähnlichen Charakter und bekommt durch ihre Bruststimme eine Ernsthaftigkeit und Wehmut wie die Lieder von Lana Del Rey.

Die Gitarre (und die bittere Abrechnung mit einem früheren Lover) in Piece Of Shit lassen mit etwas Fantasie an einen Countrysong denken: „Yeah like a piece of shit you either sink or float / so you take her for a ride on your daddy’s boat / and you are not in love but its close enough / you say you think about me when you’re fucking her.“ Wet Dream besingt einen Exfreund, der immer noch ungefragt SMS schickt. „What makes you think you’re good enough / to think about me / when you’re touching yourself“, heißt es darin. So treffsicher die Gemeinheiten im Text sind, so viel Lust auf Tanzen und Albernheit steckt in der Musik. Auch hier zeigt sich, dass Entschlossenheit und Selbstvertrauen bei Wet Leg niemals mit Biestigkeit einher gehen. Sie haben längst gemerkt, dass man insbesondere Männer-Egos viel besser pulverisieren kann, wenn man souverän und clever bleibt und ihnen vor allem zeigt, dass man auch ohne sie super klarkommt.

Nicht nur in Chaise Longue erweist sich dabei eine sehr freigeistige Einfachheit als Trumpf. Oh No klingt fast wie ein Kinderlied in der Strophe („3am / I feel zen / fucking zen / oh no.“) und herrlich chaotisch am Ende. In Too Late Now gesteht Rhian Teasdale: „I’m not sure if this is a song / I don’t even know what I’m saying.“ Aber natürlich ist das Ergebnis perfekt, mit einem tollen Bass von Mike Champion, der hier auch einen Credit als Autor bekommt, und einer grandiosen Dramaturgie, die unter anderem mit Sprechgesang und schrägen Soundeffekten erzeugt wird und von Shoeganze am Anfang bis zu purer Energie am Ende reicht.

Die Kombination aus Eingängigkeit und Einfachheit in Being In Love erinnert an die Ting Tings, aber mit einer Spur von Dreck, Schmerz und doppeltem Boden: „I feel like someone has punched me in the guts / but I kinda like it / ´cause it feels like being in love.“ Diese Zeilen werden beinahe geflüstert, als bekomme man hier ein ganz spezielles Geheimnis mitgeteilt – und als dürfe man sich deshalb sehr privilegiert und glücklich schätzen. „Wet Leg sollen einfach nur Spaß machen“, sagt Rhian. „Als Frau wird so viel von dir verlangt. Du bekommst ständig vermittelt, dass dein einziger Wert darin besteht, wie hübsch, cool oder sexy du aussiehst. Aber wir wollen albern und ein bisschen ruppig sein. Wir wollen Songs schreiben, zu denen die Leute tanzen können. Und wir wollen, dass die Leute eine gute Zeit haben, auch wenn das vielleicht nicht immer möglich ist.“

Der Wet Dream von Wet Leg spielt da, wo sie herkommen: auf dem Land.

Wet Leg bei Twitter.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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