Wild Beasts – „Last Night All My Dreams Came True“

Künstler Wild Beasts

Wild Beasts Last Night All My Dreams Came True Review Kritik
Ihre Lieblingslieder haben Wild Beasts zum Abschluss ihrer Karriere neu aufgenommen.
Album Last Night All My Dreams Came True
Label Domino
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

“Ich denke, dass es für jede Band eine bestimmte Lebenserwartung gibt”, sagt Hayden Thorpe von den Wild Beasts. „Irgendwann erreicht man den Punkt, an dem die Schlange anfängt, ihren eigenen Schwanz zu fressen. Unser letztes Album Boy King hat sich in vielerlei Hinsicht wie unser Debüt angefühlt: in seiner ‚Fick dich‘-Stimmung, in seinem Altmodischsein, in seinem Gefühl von Selbstzerstörung. Es war, als hätten wir wirklich angefangen, uns selbst zu verdauen.“

Das 2002 gegründete Quartett aus Cumbria hat daraus aber keineswegs den Schluss gezogen, es bedürfe dringend einer grundlegenden Erneuerung bei Wild Beasts. Vielmehr beschlossen sie, die Band zu beerdigen. Im September wurde die Entscheidung verkündet („Wir haben die Verantwortung für etwas Wertvolles, und das wollen wir nicht beschädigen“, lautete damals die Begründung), in diesem Monat wird es die letzten Konzerte geben. „Wir haben immer nur auf eine einzige Weise funktioniert, und das ist mit Vollgas und ohne Kompromisse. Wir haben alle rund um die Uhr für diese Band gelebt, seit wir Teenager waren. Wenn man das Gefühl hat, dieses Ethos zu verlieren, warum sollte man dann überhaupt noch weitermachen?“, fragt Hayden Thorpe auch ein knappes halbes Jahr nach der Bekanntgabe des Endes seiner Band noch.

Ein neues Album zum Abschluss, auch noch mit Neuaufnahmen bereits bekannter Songs – denn genau darum handelt es sich bei Last Night All My Dreams Came True – scheint nicht so richtig zu diesem Primat der künstlerischen Originalität und zum radikalen Schlussstrich zu passen. Doch auch dafür haben die Engländer ein paar gute Argumente. Die teils bestürzten, teils bewundernden Reaktionen auf das Ende der Band bestätigten, „dass wir noch immer etwas Wertvolles für unser Publikum waren, etwas Unbeschädigtes. (…) In vielerlei Hinsicht waren wir in unserem Zenit“, sagt Hayden Thorpe. Dieses Momentum wollten die Wild Beasts ausnutzen, für ein finales Statement, und deshalb nahmen sie in den Londoner RAK Studios sechs Stücke von Boy King und sieben ältere Lieblingslieder noch einmal neu auf.

„Die Entscheidung, die Band aufzulösen, hat uns besser gemacht. Es hat eine Menge Blockaden gelöst und Energien freigesetzt. Es fühlte sich an, als würden wir den letzten Rest von Sprit noch ins Feuer schütten, mit der Einstellung: Scheiß drauf, lass uns das einfangen!“, sagt Hayden Thorpe. Sein Bruder Tom ergänzt, die Band habe nie so tight, slick und kompromisslos geklungen wie auf Last Night All My Dreams Came True. “Es vereint ein feierliches und ein zerstörerisches Gefühl. Wenn man weiß, dass man nicht mehr viel Zeit übrig hat, ist das sehr motivierend“, sagt er.

Das insgesamt sechste Album der Wild Beasts bestätigt das. Wäre nicht der Überhang der Stücke vom jüngsten Album, könnte man die Platte tatsächlich als ein Best Of bezeichnen. Wanderlust steht am Beginn, und man ahnt auch in dieser Version weiterhin, wie viel U2 darum geben würden, noch einmal (oder überhaupt erstmals) so sexy zu sein (nicht nur durch die extrem coole Zeile „Don’t confuse me with someone who gives a fuck“). In das folgende Big Cat bringt ausgerechnet der sehr reduzierte Orgelton ein Element von Unberechenbarkeit hinein. “I’m the kind of man who wants to watch the world burn”, singt Hayden Thorpe in 2BU, aber so ganz kann man ihm das nicht glauben: Da ist eher ein Schelm in ihm als ein Sadist, eher ein Verführer als ein Tyrann.

Natürlich ist es dieser Aspekt, der vielleicht nicht die Karriere der Wild Beasts, aber doch ihre Wahrnehmung entscheidend geprägt hat. Sexualität ist ihr Lieblingsthema, und damit ist bei den Engländern bei weitem nicht bloß das rituelle „Ich will dich begatten“ gemeint. Sie fanden immer wieder eine deutlich originellere Herangehensweise an dieses Sujet und erweiterten es zugleich um Komponenten von Identität und Macht, um Gender-Fragen insgesamt.

Dass sie damit ihrer Zeit weit voraus waren, ist fast unnötig zu sagen. Angestrebt war das freilich nie, betont die Band: “Wir wollten in unseren Themen nie möglichst tagesaktuell sein. Aber wir haben uns umgeschaut, die Welt wahrgenommen und dann ein paar Dinge kommentiert.” Als entscheidenden Schlüssel für die Herangehensweise der Wild Beasts sieht Hayden Thorpe eine Vorliebe für Sinnlichkeit, auch eine besondere Sensibilität, die nicht zuletzt durch das Miteinander in der Band geprägt wurde. “Zwischen uns ist so etwas wie eine familiäre Nähe erwachsen. Das hat es uns erlaubt, auch mal sanft und verletzlich zu sein. Manchmal fühlte ich mich, als hätte ich drei Ehemänner, weil es – außerhalb des sexuellen – wirklich keinen Aspekt von Intimität gibt, den wir nicht geteilt hätten.” Tom Fleming ergänzt: “Ich vielfacher Hinsicht waren wir eine Gruppe aus Kerlen, die nach etwas gestrebt hat, was wir ursprünglich nicht waren: Wir haben uns für dieses Spiel zwischen Maskulin und Feminin interessiert.”

Auch die Geschichte der Band hat, angefangen beim Debütalabum Limbo, Panto (2008) über Two Dancers (2009), Smother (2011) und Present Tense (2014) bis hin zu Boy King (2016), zu dem beigetragen, was er eine „aggressive Sinnlichkeit“ nennt. „Wir hatten unsere ersten Konzerte in Blues-Bars in Kendal. Vor uns waren Leute aufgetreten, die mit Bierflaschen ihre Gitarren malträtiert und dazu ins Mikro geschrien hatten. Die Leute fanden uns zum Kotzen. Und ich hatte wirklich Schiss, weil man in so einem Umfeld wahrscheinlich keinen gewagteren Act hätte spielen lassen können als uns“, erinnert er sich. Die daraus erwachsene Einstellung der Wild Beasts lautete: “Fick dich, ich singe das so schön und soft, wie ich will!”

Lieder wie die Ballade This Is Our Lot, in der die Stimme fast wie Jimmy Sommerville klingt, unterstreichen auch in der neuen Version diese Attitüde. Get My Bang wird mit einem sehr feinen Groove verschwörerisch und verführerisch. Haydens Falsettgesang ist natürlich auch in Alpha Female im höchsten Maße auffällig, erst recht, wenn sich später Toms Bariton hinzugesellt, aber auch das Schlagzeug drängt sich hier in den Vordergrund – nicht durch Wucht, sondern durch die schiere Kreativität des Rhythmus. Über die Hysterie, die im “Watch me, watch me” von All The Kings Men steckt, muss Hayden zwischendurch selbst kichern.

Hooting Howling, das in der ersten Strophe noch acappella bleibt, entwickelt dann eine sensible (und tanzbare) Dramatik, wie sie zu Bloc Party passen würde. Bed Of Nails wirkt, als hätten sich New Order mit Hercules And Love Affair zur Jamsession verabredet. Auf Colossus sind Wild Beasts nicht weit weg von Prog Rock, auf jeden Fall ist es der kraftvollste Moment der Platte. Immer wieder beweisen sie hier ihr besonderes Talent nicht nur für Atmosphäre, sondern vor allem für Melodie, ein Lied wie Celestial Creature zeigt dabei vielleicht am besten ihren sehr individuellen Charakter mit einem Mix aus elektronisch angereicherten Rock-Instrumentarium, Pop-Sensibilität und Themen, die man sonst vor allem im RnB findet. „Wir können uns nach unseren eigenen Bedingungen verabschieden, und das macht uns sehr glücklich. Wer kann das schon von sich behaupten?“, sagt Hayden Thorpe, und als finales Statement seiner Band ist das ebenso eindrucksvoll wie die neu interpretierte Werkschau auf Last Night All My Dreams Came True.

Die neue Version von The Devil’s Palace, unterlegt mit Fotos aus den RAK-Studios.

Website der Wild Beasts.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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