Künstler | Wild Nothing | |
Album | Nocturne | |
Label | Captured Tracks | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
„I couldn’t explain it / I won’t even try / she is so lovely / she makes me feel high.“ Diese Zeilen singt Jack Tatum in Only Heather, und sie bringen das zentrale Gefühl, für das sein Projekt Wild Nothing steht, auf den Punkt: Sommer, Jugend, Verliebtsein. Es fällt schwer, etwas dagegen einzuwenden, und entsprechend erfolgreich war sein Debüt Gemini (2010), das den jungen Mann aus New York zu einem der herausragenden Akteure des Dream-Pop machte. Golden Haze hieß die EP, die zwischen Gemini und diesem Album lag, und dieser Titel ist nach wie vor eine gute Zusammenfassung für die Atmosphäre seiner Songs.
Der größte Unterschied auf Nocturne: Im Gegensatz zum ersten Album, das beinahe vollständig auf dem Laptop entstanden war, hat er diesmal in einem richtigen Studio aufgenommen, gemeinsam mit Produzent Nicolas Vernhes (Animal Collective, Deerhunter). „Die Tatsache, dass da jemand war, der so kompetent und bewandert ist, hatte einen großen Effekt auf das Album“, sagt Jack Tatum über die Zusammenarbeit. „Natürlich hatte ich jetzt zum ersten Mal auch eine ganze Menge hübsches Equipment, das ich verwenden konnte, Aber mir ging es nicht darum, damit einen Sound zu erschaffen, der sich komplett vom ersten Album unterschied. Vielmehr habe ich es sehr genossen, dass da jemand war, mit dem ich ein paar Ideen durchspielen und optimieren konnte.“
Welche Auswirkungen das auf seinen Sound hat, zeigt bereits die Single Shadow am Beginn der Platte: Die Stimmung bleibt sonnig und verhuscht, die Stimme mädchenhaft. Aber die Rhythmusgitarre, die zunächst auf Schwelgen aus ist, streitet sich am Ende mit den Streichern, die anfangs noch sehr verträumt klingen, um die Hauptrolle in diesem Song. Auch der Rest hat, unter anderem durch ein echtes Schlagzeug (gespielt von Jeff Curtain), durchaus ordentlich Energie. Später hat auch This Chain Won’t Break einen sehr packenden Rhythmus und wird vergleichsweise forsch. Das Thema ist wieder seliges Verliebtsein und der Glaube daran, dass dieses Gefühl die stärkste Kraft der Welt ist. Counting Days hat hörbar Lust auf Komplexität und nutzt rund um eine Basis, die eigentlich auch ein Folksong sein könnte, sehr begierig die Möglichkeiten der Elektrizität und des Studios.
Die Parallele zum Bedroom Recording, das für Gemini so prägend war, ist die Sache mit dem „Bed“. Nicht nur im Albumtitel spielt Nocturne immer wieder auf die Nachtstunden an. Es geht bei Wild Nothing sehr häufig um Träume, Mondschein und Dunkelheit, natürlich wirkt auch die Musik oft so, als stamme sie aus einer Zwischenwelt. Den Midnight Song halten nur die für Wild Nothing tpyische Melancholie (alles klingt gemütlich, warm und etwas eingetrübt wie ein Sonnenuntergang im Herbst) und ein paar BPM zu wenig davon ab, ein Hit zu werden – zudem zeigt der Beat, dass Jack Tatum auch bereit ist, Territorien jenseits von Schönklang zu erkunden. Der Titelsong Nocturne beschwört auch durch den gekonnten Einsatz der Effekte eine sehr schöne Smiths-Atmosphäre herauf und zeigt, wie geschickt Jack Tatum in seiner Musik zugleich filigran und verträumt sein kann. Through The Grass wird auf schöne Weise träge: So klingt wohl die Musik, die in einem Huggle gespielt werden sollte.
Ein Jahr nach dem Erscheinen von Nocturne fand Jack Tatum allerdings auch ein paar Defizite, die man der Platte in der Tat attestieren kann. „Ich habe mir viel Zeit gelassen und viele Dinge gleichzeitig ausprobiert, manchmal habe ich monatelang an einem Song gearbeitet. Ich wollte alles möglichst genau durchdenken und war ein Perfektionist, wenn es darum ging, bestimmte Teile in einer bestimmte Weise klingen zu lassen. Rückblickend habe ich dabei vielleicht ein wenig verkrampft“, sagt er. Ein Stück wie die Single Paradise illustriert das: Das Lied schreitet einerseits gleich mehrere Schritte in Richtung Achtziger, andererseits zeigt es, dass die Lust auf ganz bestimmte Sounds und Stimmungen bei Wild Nothing ebenso wichtig ist wie der Text oder die Melodie. Ein Beleg dafür sind auch die vielen instrumentalen Passagen von Nocturne, die manchmal fast experimentell werden können, oder ein Lied wie The Blue Dress, das INXS anno 1983 nachzueifern scheint und sogar etwas von deren unterschwelliger Aggressivität hat. Auch dem Gitarrensolo in Disappear Always hört man an, wie viel unschuldige Freude der Klang der eigenen Instrumente noch für Jack Tatum bereiten kann.
So sehr einige Passagen überkonzeptualisiert wirken und so oft man sich ein bisschen mehr Spontaneität wünscht, bleibt doch festzuhalten: Gerade die Tatsache, dass die Stimmung von Leichtigkeit und Traum hier eben nicht beiläufig generiert wird, sondern mit einem sehr durchdachten Ansatz, macht den Reiz von Wild Nothing aus. Ein Lied wie Rheya, das ganz am Ende von Nocturne steht, belegt das auf wundervolle Weise: Der Song schwebt förmlich auf einer selbst zurechtgepusteten Wolke. Jack Tatum sehnt sich nach Vergessen, singt er darin, und mit diesem Traumwolkensound scheint er auf dem richtigen Weg zu diesem Ziel zu sein.