Wenn man nicht gerade in der Oper ist, dann gibt es sicherlich wenige Konzerte, bei denen Mitsingen NICHT erwünscht ist. Ob Indie, Schlager oder Metal: Meistens fordern die Künstler sogar explizit dazu auf, choreografieren den Chor der Fans, machen das „Jetzt nur die Jungs, jetzt nur die Mädchen“-Ding oder lassen beim beliebtesten Refrain selbst den Gesang weg, damit das Publikum übernehmen und so seine Kraft und Gemeinschaft spüren kann.
Ein Konzert von William Fitzsimmons ist zumindest beinahe ein Ort, an dem Mitsingen nicht erwünscht ist. Natürlich gilt es auch hier als legitimes Mittel, Begeisterung, Verschmelzen mit der Musik und Identifikation mit dem Künstler auszudrücken. Und dieser Abend in der wunderhübschen Parkbühne Geyserhaus in Leipzig lässt keinen Zweifel daran, wie groß diese Identifikation ist.
Der Mann aus Philadelphia spielt fast zwei Stunden lang, ist blendend gelaunt (wie Witze über seine untalentierte Oma, die Tatsache, dass seine neuen Songs genau wie die alten klingen, und, ähm, seine Schamhaare belegen) und betont mehrfach, wie dankbar er ist, diesen schönen Abend mit seinen Fans in Leipzig („one of my favourite places to come back to“) teilen zu dürfen. Und das Publikum trägt ihn beinahe auf Händen – erst recht, als er zur Zugabe die Bühne verlässt und mit seinen beiden Bandmitgliedern inmitten der Zuschauer spielt, bis er den Abend dann mit Passion Play beschließt.
Trotzdem ist Mitsingen zumindest heikel. Denn ein Konzert von William Fitzsimmons ist, auch im Geyserhaus, eine fast sakrale Angelegenheit. Nach dem sehr passablen Vorprogramm von Florian Ostertag zweifelt man zunächst kurz, ob es eine gute Idee ist, einen Singer-Songwriter mit akustischer Gitarre, der kaum Show macht, vor einem Singer-Songwriter mit Gitarre auftreten zu lassen, der dann noch einmal zwei Stunden lang kaum Show macht. Doch dann betritt William Fitzsimmons die Bühne, beim ersten Lied noch ganz alleine, und man stellt fest: Es ist immer wieder ein Ereignis mitzuerleben, wie diese sagenhafte sanfte Stimme aus diesem sagenhaft waldschratigen Körper kommen kann. Und mehr braucht es nicht, um fasziniert zu sein.
Pittsburgh vom gleichnamigen aktuellen Album hat eine magische Fragilität, Ghost Of Penn Hills erreicht ein Maximum an Intensität, Fade And Then Return wird mit einem erstaunlich satten Beat angereichert. Schnell ist klar: Es gibt kein Lied, das man nicht gern von dieser Stimme gesungen hören würde. Als ob er das unterstreichen möchte, spielt William Fitzsimmons dann als vorletzten Song des regulären Sets tatsächlich ein geradezu entrücktes Cover von I Want It That Way (jawohl: das Original stammt von den Backstreet Boys). Und selbst in den Momenten, in denen er sich einen Hauch von Rock’N’Roll erlaubt (zu dem auch eine Doppelhals-E-Gitarre gehört), bleibt das im Kern immer watteweich, empfindlich wie eine Schneeflocke, heilig. Und genau deshalb wird alles, was so eine Show akustisch stören könnte (Mitsingen bewegt sich gerade an der Grenze), gefährlich und wird schon einmal mit bösen Blicken, einem energischen Psssst oder einem sehr intensiven Augenrollen von den Nebenleuten gestraft.
Für alle Novizen hier also 15 Dinge, die man während eines Konzerts von William Fitzsimmons nicht tun sollte, in der Reihenfolge ihrer Frevelhaftigkeit.
15. Irgendein Geräusch machen, das lauter ist als atmen
14. Zu heftig am Bart kratzen
13. Eine Coladose öffnen
12. Mit hohen Absätzen auf hartem Untergrund laufen
11. Nase putzen
10. Eine Jacke mit Reißverschluss öffnen
9. Laut knutschen (ja, das geht!)
8. Eine Jacke mit Klettverschluss öffnen
7. Gegen einen (oder zwei) Plastikbecher auf dem Boden treten
6. Eine Mücke totschlagen
5. Mit illegal mitgebrachten Weingläsern anstoßen
4. In einer illegal mitgebrachten Chipstüte wühlen
3. Eine Unterhaltung führen (auch wenn man sich über das Konzert unterhält)
2. Sein Handy klingeln lassen (auch wenn man William Fitzsimmons als Klingelton hat)
1. Nicht zu würdigen wissen, was man da für eine zauberhafte Musik geboten bekommt.