Künstler | William Fitzsimmons | |
Album | Ready The Astronaut | |
Label | Grönland | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Es gibt den berühmten Major Tom von David Bowie, den noch berühmteren Neil Armstrong, der als Man On The Moon besungen wurde, und sogar ein Lied der Rentals namens Great Big Blue zu Ehren von Ellison Onizuka, Christina McAuliffe, Greg Jarvis, Judith Resnik, Mike Smith, Dick Scobee und Ron McNair, also den Raumfahrerinnen und -fahrern, die bei der Explosion der Challenger 1986 ums Leben gekommen sind. Der Astronaut, den William Fitzsimmons auf seinem am Freitag erscheinenden Album besingt, hat hingegen keinen Namen. Er steht für eine Idee.
„Astronauten haben mich immer fasziniert. Als ich ein Kind war, erschien es als reizvolle Möglichkeit, meinem Leben zu entfliehen. (…) Wer so weit wie möglich raus kommen möchte, der zieht wohl am besten einen Raumanzug an“, sagt Fitzsimmons. Dieser Gedanke erschien ihm auch verlockend, als er die Trennung von seiner zweiten Frau zu verarbeiten hatte, die er schon 2018 auf dem Album Mission Bell thematisiert hatte. „Ich saß in Nashville, 41 Jahre alt, hatte schon eine Scheidung hinter mir und hatte gehofft, dass diese neue Ehe mein Leben in Ordnung bringen würde. Und plötzlich fing alles wieder von vorne an. Das war ein erschütternd schlimmes Gefühl, dem ich einfach entkommen wollte. Das Album ist aus diesem Gedanken heraus entstanden: nicht noch einmal all die Fehler zu durchleben, die ich schon so häufig gemacht hatte.“
Das zweite Leitmotiv auf Ready The Astronaut ist der Ikarus-Mythos. In Icarus fühlt sich der Künstler dem tragischen Helden der Antike gewohnt feinfühlig und gekonnt verbunden, If I Fell Back To Earth (You Will Never Find Me) greift die Idee mit einer klasse Dramaturgie ebenfalls auf, in Daedalus, My Father spricht der Mann, dessen Flügel schmolzen, als er sich zu nah an die Sonne heran wagte, zu seinem Vater, voller aufrichtiger Reue in der Zeile „I thought that I could fly.“ Für William Fitzsimmons geht es dabei gar nicht um den Hinweis, dass man nicht zu hoch hinaus streben oder zu tief fliegen sollte, sondern um das Genießen des Dazwischen als dem Bereich, für den wir geschaffen sind. „Daedalus hatte Recht: Es gibt eine Mitte, ein Gleichgewicht, und dort lässt sich Frieden finden. (…) Vieles auf dem Album handelt davon, dass ich mich selbst akzeptiere und mir erlaube, glücklich zu sein“, sagt Fitzsimmons.
Aus dem gemeinsamen Haus mit der Ex-Frau in Nashville ist der Künstler mittlerweile nach Jacksonville, Illinois gezogen. Zudem erlaubte er sich auf Tournee nach der Scheidung erstmals in seinem Leben so etwas wie Exzess und Rock’N’Roll-Lifestyle. Auch darin kann er im Rückblick eine Parallele zu Ikarus entdecken: „Es gab eine Menge Abstürze. Aber das muss nicht unbedingt eine schlechte Sache sein.“ Auch im Sound kann man auf Ready The Astronaut eine Veränderung erkennen, die wohl größer ist als alle vorangegangenen in der Karriere von William Fitzsimmons. Es gibt vergleichsweise viel Beat und recht viele Synthesizer sowie andere Instrumente, die Strom brauchen, wie gleich der Auftakt Dancing On The Sun deutlich macht. Natürlich gibt es hier aber auch weiterhin die übliche (und meisterhafte) Sensibilität, etwa in Form der Tragik, vielleicht aber auch Zuversicht, die in den Zeilen „All the seedlings that we have laid / someone else will grow them“ liegt.
Aus dem Backing-Track des folgenden No Promises hätte man vielleicht sogar einen Rocksong machen können, wenn man an ein paar Reglern drehen würde, aber durch den verhuschten und zerbrechlichen Gesang ist das dennoch sofort als William Fitzsimmons zu erkennen. Auch Down With Another One zeigt, dass ihm der kraftvollere Sound, hier umgesetzt mit Schlagzeug, E-Gitarre und mutigen Effekten, gut steht und keineswegs aufgesetzt wirkt oder gar nach Midlife Crisis klingt.
Long As I Can Breathe könnte man sich auch als Liebeslied von den Eels vorstellen, schließlich haben die auch so einen Sänger mit überbordener emotionaler Intelligenz. In Maybe She Will Change Her Mind hört man sofort, wie unwahrscheinlich die im Titel steckende Vermutung ist – aber trotzdem darauf zu hoffen, ist natürlich ebenso erlaubt wie romantisch. Ready The Astronaut ist zwar nicht so abenteuerlustig und mutig wie ein tatsächlicher Weltraumreisender, dafür aber immerhin voller Vertrauen in Technologie, mit einer großen Vision ausgestattet und nicht zuletzt mit der Bereitschaft, den Major-Tom-Effekt in Kauf zu nehmen, also die Möglichkeit, nie mehr zurückkehren zu können.
To Love Forever schließt das Album ab, die Zentrale Zeile darin lautet „And we tried, tried to love forever“. Es ist herzzerreißend, dass man genau spürt, wie groß die Hoffnung ist, die in diesem Versuchen steckt, und wie groß der Schmerz, der mit seinem Scheitern verbunden ist. Zugleich klingt es enorm tröstlich, wie reflektiert und gelassen der Künstler das aussprechen kann. Auch You Let Me Down funktioniert ganz ähnlich: „Maybe it’s time I let you go“, heißt es da, ohne eine Spur von Bitterkeit – und das ist das Gefühl, das an dieser Platte herausragend ist.