Künstler*in | Yin Yin | |
Album | Mount Matsu | |
Label | Glitterbeat | |
Erscheinungsjahr | 2024 | |
Bewertung | Foto oben: (C) LaSoundCheck / Jonas Loelmann |
Am 12. März eröffnen YĪN YĪN im UT Connewitz in Leipzig ihre fünf Stationen umfassende Deutschland-Tour. Zu Fuß wären das für mich ungefähr 15 Minuten, die Location ist wunderschön, ein Platz auf der Gästeliste ist bestimmt auch drin. Trotzdem bin ich sehr zögerlich, ab ein Besuch dort wirklich eine gute Idee wäre. Denn die Musik des Quartetts aus Maastricht weckt auf Mount Matsu sehr fragwürdige Assoziationen.
Kees Berkers (Schlagzeug), Remy Scheren (Bass), Robbert Verwijlen (Tasteninstrumente) und Erik Bandt (Gitarre) decken mit ihrem dritten Album so unterschiedliche Genres ab wie japanischen Instrumental-Folk, frühen Techno, Surf-Klänge, orientalischen Rock oder Seventies-Psychedelia. Und das beschwört natürlich schlimmste Klischees herauf. Vor dem geistigen Auge sehe ich einen Konzertabend mit einem komplett bekifften Publikum voller Tribal-Tattoos und mit Henna gezeichneten chinesischen Schriftzeichen. Ich sehe handgestrickte Schals und viel zu viele Batikshirts. Ich würde mich nicht einmal wundern, wenn an der Tür zum Saal vielleicht ein paar Leute aufkreuzen, die ihre eigenen Bongos mitbringen wollen oder ein seltsames Haustier wie einen Waran.
Keine dieser Sorgen kann Mount Matsu zerstreuen, zugleich liefert die Platte aber genug Material, das einen Konzertbesuch reizvoll erscheinen lässt. Vielleicht das beste Beispiel für die Wirkung von YĪN YĪN ist Tokyo Disko. Der Song klingt genau, wie der Titel es vermuten lässt, und wirkt zugleich wie eine Mahnung daran, wie schnell diese Art von Musik nervtötend werden könnte. Die vier Niederländer, die das Album in ihrem eigenen Studio aufgenommen haben, schaffen es aber immer wieder, inklusiv zu sein statt nur die eigene Virtuosität oder die Vorlieben für abgefahrene Genres zur Schau zu stellen. Auch Takahashi Timing kann man als exemplarisch betrachten: Mit dem Label „retro“ würde man dem Track Unrecht tun, mondern ist er aber auch nicht gerade. Vielleicht kann man ihn so erklären: Er klingt wie das Jahr 2047, wie man es sich vielleicht 1972 vorgestellt hätte.
Eine Besonderheit nach dem Debütalbum The Rabbit That Hunts Tigers (2019) und dem Nachfolger The Age Of Aquarius (2022) ist der kollaborative Ansatz, den das Quartett gewählt hat. Wenn man ihnen Böses will, könnte man unterstellen, dass darin auch eine Rebellion gegen Gründungsmitglied und Multiinstrumentalist Yves Lennertz zum Ausdruck kommt, der die Band kürzlich verlassen hat. „Kunst und Ideen sind persönlich und wertvoll“, sagt Bassist Remy Scheren, für den der Weg zum dritten Album „auch eine Studie darüber, wie Kollektive funktionieren“ war. Sein Bandkollege Robbert Verwijlen ergänzt: „Es ist manchmal schwer, seine eigenen künstlerischen Ideen als Mitglied einer Gruppe in Frage gestellt zu sehen, aber wir sind sehr stolz auf das Ergebnis. Weil hier wirklich jedes Bandmitglied mitgestaltet hatte, wurde buchstäblich jeder Sound auf einer Platte durch und durch getestet.“
So klingt The Year Of The Rabbit nun wie ein Bond-Theme in Pentatonik, White Storm mischt unter anderem Flamenco, Stoner Rock und Space-Funk, die Gitarrenmelodie in Tam Tam könnte aus einem Soul-Klassiker wie My Girl stammen, The Perseverance Of Sano will offensichtlich sehr gerne auf die Playlist (oder gar einen Soundtrack) von Quentin Tarantino kommen und wäre dort auch genau richtig aufgehoben.
Shiatsu For Dinner klingt bis auf das vergleichsweise energische Finale so ähnlich wie die Musik, die vor fünfzig Jahren mutmaßlich Erotikfilme untermalt hat. Pia Dance ist ein gutes Beispiel dafür, wie sie Gesang sehr dosiert, aber sehr wirkungsvoll nutzen. „Wir haben uns entschieden, den Gesang nur sparsam einzusetzen, was der Fantasie des Hörers viel Raum lässt. Man kann seiner Fantasie beim Zuhören und Tanzen wirklich freien Lauf lassen“, sagt Schlagzeuger und Gründungsmitglied Kees Berkers.
Den Berg im Albumtitel haben sich YĪN YĪN übrigens ausgedacht. Der Album-Abschluss Ascending To Matsu’s Height spielt einerseits auf die Kiefer an (Matsu ist das japanische Wort für Kiefer, der Baum ist dort ein Symbol für Wiedergeburt und Hoffnung). Zugleich soll der ganz bedächtige Track wohl zeigen, wie harmonisch der Entstehungsprozess war – und wie hübsch die Aussicht ist, die man oben auf dem Gipfel dann hat. Das lässt sich in der Tat nicht bestreiten: Diese Musik ist spannend, einzigartig und sogar unterhaltsam. Live wahrscheinlich sogar umso mehr.