Künstler | Yorkston/Thorne/Khan | |
Album | Neuk Wight Delhi All-Stars | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Chori Chori heißt das erste Lied auf diesem Album, und es ist ein gutes Beispiel dafür, wie Yorkston/Thorne/Khan auch auf ihrem zweiten Longplayer arbeiten. Die meisten Stücke von Neuk Wight Delhi All-Stars wurden live aufgenommen, und bei Chori Chori merkt man diese Spontaneität besonders. „Es gibt eine Grundstruktur, aber niemand von uns wusste, wie lang der Teil in der Mitte sein würde“, erinnert sich James Yorkston an die Aufnahme. Behutsam scheinen sich die drei Musiker in diesen Sound hineinzutasten, und gerade dadurch entsteht die Spannung des Lieds, wobei der Gesang von Suhail Yusuf Khan die Richtung vorgibt und alles zusammenhält.
Er spielt zudem Sarangi in diesem Trio und hat seinen Glanzmoment im Acappella-Stück Jaldhar Kedara (Wedding Song). Es ist ein Lied, das er noch von seinem Großvater kennt, der übrigens damals schon mit George Harrison gespielt hat. Jon Thorne, der sonst Mitglied bei Lamb ist und auch schon Beiträge für Iron And Wine geliefert hat, steuert den Bass bei und singt diesmal auch bei drei Liedern. Für The Blue Of The Thistle rückt sein Gesang gemeinsam mit dem Klavier weit ins Zentrum des Lieds, Just A Bloke (geschrieben von Ted Sheldrake) bleibt sehr reduziert, entwickelt aber trotzdem eine sehr eigenständige Ästhetik, auch durch Thornes Stimme. One More Day, das die Platte abschließt, hat er erst am letzten Tag der Studiosessions geschrieben. „Ich betrachte das als einen Liebesbrief an meine Frau und meine Familie. Wenn wir auf Tour sind, bekomme ich oft Heimweh, und ich wollte ein Lied über das Heimkehren haben, das ich dann jeden Abend im Konzert singen kann, um die Sehnsucht nach Zuhause ein bisschen abzumildern“, sagt Thorne.
Yorkston selbst ist an der Gitarre zu hören. Er hat schon 2002 seine erste Platte veröffentlicht, seitdem hat er – zusätzlich zu seinen bisher sieben Soloalben und einem Roman – beispielsweise mit Kieran Hebden (alias Four Tet), Alexis Taylor (Hot Chip) oder den Folkhelden Martin Carthy und Bert Jansch gearbeitet. Schon seit 2009 musiziert er mit Thorne gemeinsam, unter anderem wegen dieser langen Verbindung gefällt ihm die Einordnung als „Fusion“, die manche für das 2016 veröffentlichte YTK-Debüt Everything Sacred parat hatten, nicht sonderlich: „Mir leuchtet das nicht ein. Es gibt Elemente aus dem Jazz, die mit klassischem indischen Liedgut und akustischen Songs zusammen kommen. Aber das Wort ‚Fusion‘ assoziiert Vorsatz, einen Versuch, möglichst weit voneinander entfernte Bestandteile zu vereinen. YTK funktioniert überhaupt nicht nach diesem Prinzip. Ich habe Suhail durch puren Zufall getroffen und dann haben wir uns angefreundet. Wir sind einfach eine Band.“
Wenn er beispielsweise in Bales singt, kann man recht problemlos einen weitgehend konventionellen (und höchst entzückenden) Folksong ausmachen, der mit ein paar exotischen Elementen verziert wird. In den meisten anderen Momenten liefert das Aufeinandertreffen der drei sehr unterschiedlichen ästhetischen Sozialisationen indes auch auf Neuk Wight Delhi All-Stars noch den Reiz des Neuen, wie man ihn sonst in der Musikwelt kaum noch findet. „Die Kombination aus einem Singer-Songwriter, einem Jazz-Bassisten und einem klassischen indischen Sarangi-Spieler ist noch nie dagewesen“, sagt Khan, der nicht nur das Innovative an dieser Konstellation schätzt: „Vor allem das Fehlen von Percussions gibt mir die Freiheit, klanglich viel mehr auszuprobieren. Ich kann minimalistisch und extravagant sein, sogar zur gleichen Zeit. YTK unterscheiden sich auch von den anderen Projekten, an denen ich beteiligt bin, weil ich hier ständig auf die musikalischen Energien antworte, die James und Jon einbringen. Es ist ein Prozess des Teilens und Lernens.“
The Blues You Sang wird von Yorkston sehr einfühlsam interpretiert, das gilt ebenso für die Instrumente und die kurzen Passagen, in denen Khan den Gesang übernimmt. Recruited Collier zeigt die Fähigkeit von Yorkston/Thorne/Khan, uralte Lieder ganz neu entdecken und so unterschiedliche Elemente wie Gitarre und Sarangi so harmonisch zu vereinen, als würden sie sich wirklich umarmen. „Ich kenne schon sehr lange die Version, die Anne Briggs von diesem Song gesungen hat. Als wir das Stück um Studio ausprobiert haben und Suhail seinen Gesang hinzufügte, hatte das einen ganz unerwarteten Effekt – das war wie ein Adrenalin-Boost“, erzählt Yorkston.
Improvisation war auch bei Halleluwah das Grundprinzip. Das Stück basiert auf einem instrumentalen und fast meditativen Jam und ist benannt nach dem gleichnamigen Lied von Can, womit YTK eine Tradition vom Debütalbum fortsetzen. Schon dort hatten sie einen eigenen Song nach einem Krautrock-Klassiker benannt (nämlich Knochentanz von Faust). Dass das Ergebnis so rund und geschlossen klingt, liegt nach Ansicht der drei Musiker auch an der gewachsenen Beziehung zwischen ihnen. „Man kann unserem Sound anhören, dass wir nun viel stärker eine Einheit sind, weil wir ein ganzes Jahr lang zusammengespielt haben. Das erste Album haben wir gemacht, als wir uns gerade erst getroffen hatten, und wir waren damals noch auf der Suche“, sagt Thorne. Auch Khan bestätigt: „Diese Platte ist geschlossener als die erste. Wir haben unsere jeweilige Persönlichkeit und Musikalität jetzt gegenseitig besser verstanden.“
Ein Song wie False True Piya zeigt das sehr deutlich. „Piya ist ein Wort aus der Hindu-Sprache, das man mit ‚geliebt‘ übersetzen kann“, sagt Khan, der den Text dazu verfasst hat. „Er handelt von einem Liebenden, der sich voller Leid nach seinem Partner sehnt. Das geht so weit, dass er die geliebte Person herbeifantasiert und sich mit ihr unterhält. So entsteht das seltsame Gefühl eines getrübten Glücks: Die geliebte Person ist endlich anwesend, aber eben nur als eine Halluzination.“ Yorkson erkannte in dieser Szenerie eine Parallele zum Folksong The Daemon Lover (auch als The House Carpenter bekannt), deshalb eröffnet er das Lied mit einem Zitat daraus. Die verzehrende, fast fiebrig schmerzhafte Sehnsucht wird ebenso deutlich wie die Brüchigkeit der Projektionsfläche und die tröstende Kraft, die dennoch in dieser Fantasie steckt.
Alt und neu, Ost und West, sehr organische Klänge und große Virtuosität bringen Yorkston/Thorne/Khan auf Neuk Wight Delhi All-Stars wunderbar zusammen und meistern zugleich das nicht geringe Kunststück, dabei vollkommen uneitel zu klingen. Die Triebkraft dafür ist nichts anderes als die Liebe zum eigenen Metier, wie Jon Thorne verdeutlicht: „YTK ist in meinen Augen ein wunderbares Beispiel dafür, wie Musik ohne Grenzen funktioniert, als internationale Sprache und natürlich als eine multikulturelle Einheit. Das ist eine wichtige Botschaft in diesen Zeiten.“