Young Rebel Set, Werk 2, Leipzig

Sechs Leute, von denen nur einer nicht singen darf: Young Rebel Set im Werk 2.
Sechs Leute, von denen nur einer nicht singen darf: Young Rebel Set im Werk 2.

Ich habe es gewusst. Schon am 29. September habe ich gewusst, dass es eine blöde Idee ist. Dass irgendwann dieser Moment kommen würde, in dem ich diesen Plan bereuen, mich selbst verfluchen, den Schmerz spüren werde. Jetzt ist der Moment da.

Der Plan lautet, dass ich im Oktober keinen Alkohol trinken werde. Das klappte sehr problemlos, obwohl es reichlich Grund gegeben hätte, sich zu betrinken: Eine 1:3-Niederlage von ManCity. Sondierungsgespräche. Eine Woche, in der auf den ersten vier Plätzen der deutschen Albumcharts Helene Fischer, Andrea Berg, Casper und die Kastelruther Spatzen stehen. All das habe ich einigermaßen problemlos und vor allem alkoholfrei überstehen können. Bis zu diesem Konzert im Werk 2. Young Rebel Set machen, man kann das nicht anders sagen, Musik, die danach schreit, Bier zu trinken oder Whiskey oder wenigstens Cider. Sie machen Musik, zu der man sich in den Armen liegen kann, an entfernte Freunde denken oder an die Tatsache, dass man diese Songs auch gut mit seinem Vater genießen könnte. Der Sound ist echt und hemdsärmelig, und ähnlich wie beim durchaus geistesverwandten Frank Turner oder dem auch nicht ganz weit entfernten Bruce Springsteen (in Borders wird die Nähe zu ihm an diesem Abend am deutlichsten) werden diese Lieder noch ein bisschen besser, wenn man ein Bier dabei in der Hand und ein paar Kumpels an seiner Seite hat.

Doch ich bleibe eisern, und das wird wirklich eine Tortur. Nicht nur wegen der feuchtfröhlichen Atmosphäre und der bierseligen Musik, sondern vor allem wegen Sänger Matty Chipcase. 70 Prozent seiner Ansagen, so nimmt es jedenfalls mein von der Abstinenz womöglich bereits in Mitleidenschaft gezogenes Hirn wahr, handeln vom Trinken. Eines seiner ersten Worte an das Publikum im Werk 2 heißt „Prost“, später grüßt er „all the drinkers in the house“. Irgendwann danach folgt die Aufforderung „raise your glass“, während der Zugabe lädt er die Fans für die Zeit nach der Show zum Trinken hinter die Bühne ein, ganz am Schluss bedankt er sich bei einem besonders enthusiastischen Zuschauer, der jeden Refrain mit dem Arm in der Luft (und einem Beck’s in der Hand) mitgesungen hat. Und seine letzten Worte lauten dann wieder: „Prost, let’s have a beer.“

Der Mensch, der an diesem Arm hängt, weiß, wie man ein Konzert von Young Rebel Set genießt.
Der Mensch, der an diesem Arm hängt, weiß, wie man ein Konzert von Young Rebel Set genießt.

Wäre ich abergläubisch, würde ich darin (oder in der Tatsache, dass gleich zweimal mein voller Colabecher von einem anderen, sicherlich sternhagelvollen Zuschauer umgekippt wird) das Wirken einer dunklen Macht erkennen, die mich dazu verführen will, eine der 13 verfügbaren Biervarianten im Werk 2 zu konsumieren, und der ich lieber folgen sollte, um es mir nicht mit dem Schicksal zu verscherzen. Aber ich zwinge mich, standhaft zu bleiben. Und Gott sei Dank ist es auch keineswegs so, dass man sich diese Show von Young Rebel Set schönsaufen müsste. Mit The Lash Of The Whip, Lion’s Mouth und Walk On steht ein famoses Triumvirat am Beginn des Konzerts, danach folgen erstaunlich viele ruhige Momente, eingeleitet von einem neuen Song namens One Love. Das Lied wirkt bisschen wie ein Aufeinandertreffen der Dire Straits mit den Pogues, klingt aber besser, als man bei dieser Konstellation vermuten würde. „It works in Germany“, lautet das zutreffende Fazit von Chipcase.

Von den sechs Leuten auf der Bühne (nur Bassist Chris Parmley darf bei Young Rebel Set nicht singen) hat der Sänger die schlechteste Frisur und das uncoolste Outfit, aber er ist dennoch der unbestrittene Mittelpunkt. Berlin Nights ist ein guter Beleg dafür: Chipcase spuckt Feuer und Pfeile und Gift, so viel Leidenschaft und Aufrichtigkeit stecken in seiner Stimme.

Spätestens im Zugabenblock ist die Musik dann berauschend genug, um jeglichen Durst vergessen zu lassen. Beim großartigen If I Was gehen nicht nur der eine oder andere Herzschlag, sondern auch reichlich Fäuste in die Höhe (und, jaja, Hände mit Bechern und Flaschen darin). Und Measure Of A Man, der Schlusspunkt der Show in Leipzig, wird – genau wie von Chipcase angekündigt – das Lied, das den Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Konzert macht. Am Ende bin ich der womöglich einzig nüchterne Mensch im Saal, aber sehr zufrieden und sicher, dass Young Rebel Set ein bisschen stolz auf mich wären. Denn wogegen sich die im Bandnamen erwähnte Rebellion richtet, ist bei diesen sechs Männern aus Stockton-on-Tees offensichtlich: Gegen alles, was Fake ist. Gegen jeden, der es wagt, das Erbe von Oasis zu schänden. Und gegen Leute, die ihre eigenen Prinzipien verraten.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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Ein Gedanke zu “Young Rebel Set, Werk 2, Leipzig

  1. Hallo,

    auch ich war, gezwungen, nüchtern.
    Eine Korreukter zu deinen Text: der ganz besonders enthusiastischen Zuschauer, der jeden Refrain mit dem Arm in der Luft (und einem Beck’s in der Hand) mitgesungen hat, war übrigens der Schlagzeuger von Young Chinese Dogd mit neben ihm die Sängerin.
    Schön Gruss

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