Wir müssen über das „Prinzip Federballschläger“ reden. Kennste nicht? Doch, kennste. Jeder kennt es. Das „Prinzip Federballschläger“ handelt vom Drang, einen gitarrenähnlichen Gegenstand gitarrenähnlich zu behandeln. Als Kind macht man das gerne. Es gibt ein Foto von mir aus einem Campingurlaub, in dem ich das gemeinsam mit meiner kleinen Schwester praktiziere (siehe rechts). Die rechte Hand schrammelt über den Kopf des Schlägers (wobei man sich schneller die Fingerkuppen verletzen kann als bei einer echten Gitarre), die linke Hand zelebriert die Akrobatik komplizierter Soli am Schlägergriff (also auf nicht vorhandenen Saiten). Wahrscheinlich wollten wir damals Roxette sein oder die Eurythmics, womöglich gar Modern Talking. In jedem Fall wollten wir Popstars sein, begnadet, berühmt und bewundert – und kein Weg führt so schnell zu diesem Gefühl wie ein gitarrenähnlicher Gegenstand, den man gitarrenähnlich behandelt. Wie zuverlässig das funktioniert, kann man auch als Erwachsener noch überprüfen, wenn man abends im Club sich selbst den einen oder anderen wenig stilvollen Gast beim Luftgitarrensolo ertappt.
Es muss übrigens unbedingt „Federballschläger“ heißen, nicht etwa „Badmintonschläger“ oder gar „Tennisschläger“. Denn Federball klingt nach der denkbar größten Harmlosigkeit und ist damit der maximale Konrast zu dem, was die E-Gitarre eigentlich verkörpert. Sie ist ein Phallus, eng am Körper gehalten, genau vor dem Becken. Und sie ist eine Waffe, sie kann schmerzhaft laut sein, wild schreien und brave Spießbürger in Angst und Schrecken versetzen.
Genau deshalb ist das „Prinzip Federballschläger“ an diesem Abend in Leipzig so wichtig. Auf der Bühne im Täubchenthal stehen Le Very aus Berlin und Zoot Woman aus Reading, und beide Bands beherrschen das „Prinzip Federballschläger“ perfekt. Johnny Blake, Sänger von Zoot Woman, trägt eine Fender Telecaster vor sich. Man kann kaum behaupten, dass er sie spielt: Wenn er ausnahmsweise die Saiten berührt, sind praktisch nie die entsprechenden Töne zu hören; umgekehrt erklingen Gitarrenakkorde, während er mit beiden Händen das Mikrofonstativ umklammert. Aber das macht nichts: Die Telecaster ist das ultimative Rockstar-Accessoire, und sie verdeutlicht damit wunderbar, was das größte Verdienst der Engländer ist, die seit 1996 unterwegs sind und 2001 ihr fabulöses Debütalbum veröffentlich haben: Sie waren damals eine der Bands, die Rock-Attitüde mit Synthesizern versöhnt haben, sie haben Indie die Tür zur Elektronik geöfffnet.
Dass Zoot Woman damit wahrscheinlich eine der prägenden Bands des vergangenen Jahrzehnts waren, wollten sie mir neulich im Interview zwar (noch) nicht glauben, aber im Täubchenthal wird diese These noch einmal untermauert. Vor allem durch die Tatsache, wie wenig verbraucht die alten Songs klingen. Los geht es mit We Won’t Break (aus dem Jahr 2009), es folgt das noch ältere Woman Wonder, und spätestens mit Information First vom Debüt haben sie Leipzig dann im Sack. Vieles klingt bei Zoot Woman wie Depeche Mode in gut, und Songs wie Don’t Tear Yourself Apart (einer der wenigen Tracks vom aktuellen Album Star Climbing) zeigen, wie wichtig die Stimme von Johnny Blake für die Wirkung von Zoot Woman ist. Sie ist mittlerweile mindestens ebenso sehr ein Markenzeichen der Band wie die Sounds von Stuart Price (die so gefragt sind, dass er auch Madonna, die Killers oder die Pet Shop Boys damit beliefert). Das Mastermind ist, wie üblich, live nicht dabei, neuerdings sind Zoot Woman auf der Bühne sogar zum Duo geschrumpft. Neben Johnny Blake steht nur nach Adam Blake, der wie ein modischer Wiedergänger von Calvin Harris aussieht und neben den Tasten- und Knöpcheninstrumenten noch ein Crash- und ein Ride-Becken bedient.
Mit diesem überschaubaren Equipment dürften Zoot Woman heiße Kandidaten für den kleinsten Tour-Truck der Welt sein, doch das reduzierte Arsenal an Instrumenten passt ausgezeichnet zur Musik: Sie konzentrieren sich auf die Essenz. Die Pause vor der Zugabe ist nur handgestoppte 20 Sekunden lang, zum Ende hin wird die Show durch eine stärkere Hinwendung zum House immer euphorischer, Living In A Magazine bildet den eindrucksvollen Schlusspunkt. Daneben gibt es nur die (großartigen) Songs und die (unhörbare) Gitarre.
Während Johnny Blakes Telecaster bei Zoot Woman im Täubchenthal quasi das einzige Element ist, was so etwas wie einer „Show“ nahe kommt, verfolgen Le Very eine andere Strategie. Die Berliner sind seit Mitte Januar als Vorband von Zoot Woman unterwegs, haben mit Ada und Nuria zwei Tänzerinnen dabei und ergänzen ihre Show dank dieser beiden um ein fein ausgetüfteltes optisches Spektakel. Zu Beginn tragen Ada und Nuria noch Outfits, die aussehen, als seien sie für Anne Hathaway gemacht und dann durch einen Eierschneider geschickt worden. Später verschwindet Nuria unter einer riesigen Plastikfolie, während Ada mitsingen darf, am Schluss tragen die beiden goldene Lametta-Jäckchen. Glitzer ist auch sonst wichtig bei Le Very: Schlagzeuger Milian kommt in einem goldenen Bustier und einem halbverspiegelten Basecap auf die Bühne, Keyboarderin und Sängerin Naemi entledigt sich schnell ihrer Jacke, um ein Top mit reichlich Silber zu offenbaren.
Sänger Tille setzt dazu den Kontrapunkt: eine schwarze Bomberjacke. Allerdings hat er ja eine andere Geheimwaffe: das „Prinzip Federballschläger“. Auch er nutzt seine (halbakustische) Gitarre eher zum Posieren, spielt sie aber doch etwas häufiger als Johnny Blake später am Abend. Auch bei ihm ist sie nicht so sehr ein prägendes Instrument für den Sound der Band, sondern Ausdruck für die Idee, mit der Le Very ihre Musik betreiben: zwischen den Genres und immer mit dem Bestreben, aus dem Selbst auszubrechen, eine Verlängerung des Körpers zu finden, die mit der Musik verschmilzt. Genau das leistet hier die Gitarre, und auch Le Very verstehen sich blendend darauf, die Quintessenz ihrer Musik herauszustellen, das Wesentliche. Da kann es schon mal eine Minute lang bloß Handclaps geben (auf die Leipzig so früh am Abend aber noch nicht einsteigen will), beinahe Acappella-Gesang von Naemi und Tille im Refrain von Playground oder eine vertrackte Euphorie, die immer wieder an die wunderbaren The Naked And Famous denken lässt. Das 40-minütige Set (nicht schlecht für eine Band, die offiziell gerade einmal eine EP am Start hat) macht jedenfalls ziemlich gespannt auf ein erstes Album von Le Very.