Künstler | ZSK | |
Album | Ende der Welt | |
Label | Century Media | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Sellout. Das ist natürlich ein Begriff, der im Punk so beliebt ist wie die anderen bösen Wörter mit sieben Buchstaben (Kommerz, Neonazi und Polizei). Aber es ist ein Vorwurf, den man ZSK bei ihrem heute erscheinenden sechsten Album zunächst vielleicht machen will. Das Quartett aus Berlin bringt Ende der Welt rechtzeitig zum Hpye um seinen Christian-Drosten-Song heraus. Den Vertrieb macht der Branchenriese Sony, auf dem schicken Digipack klebt ein Sticker, der Musik „für Fans von Die Ärzte, Broilers und Feine Sahne Fischfilet“ empfiehlt.
Doch schon ohne eine Note dieser Platte gehört zu haben, könnte man diesen Verdacht problemlos entkräften. Um in höhere Chartsregionen zu kommen, brauchen ZSK keinen Pandemie-Hit (vor drei Jahren erreichten sie mit Hallo Hoffnung bereits Platz 16). Der Sticker ist letztlich eine herrlich altmodische Idee, denn er adressiert nicht den Hörer, der via Spotify-Algorithmus neue Acts entdeckt, die möglichst perfekt auf seinen Geschmack optimiert sind, sondern jene, die im Plattenladen wahllos die Regale durchstöbern. Das Album hätte eigentlich schon im August 2020 erscheinen sollen, als die >500.000 YouTube-Aufrufe für den Virologen-Song beim besten Willen noch nicht absehbaren waren. Nur wegen des ausgefallenen Festivalsommers ist die Veröffentlichung verschoben worden. Und nicht zuletzt haben wir es hier mit ZSK zu tun, einer Band, die sich einst einfach daneben gestellt und auf dem Parkplatz mit einem Stromgenerator gespielt hat, als NOFX auf Tour waren oder wenn die VANS Warped Tour in ihrer Stadt gastierte.
Es ist dieser Glaube an Punk als Mittel zur Weltverbesserung, der auch Ende der Welt letztlich ausmacht. Die 1997 gegründete Band betreibt ihr Metier auch hier ohne allzu viel Finesse, Intelligenz, Virtuosität und Innovation Sache. Mindestens zwei der drei Bands, die auf dem Sticker genannt sind, haben da mehr zu bieten. Auch für etliche Acts, mit denen das Quartett schon auf Tour war (Die Toten Hosen, Bad Religion, Donots, Anti-Flag und die Bloodhound Gang gehören dazu), gilt das. Dafür gibt es bei ZSK aber, auch diesmal, tonnenweise Überzeugung.
Gleich der Auftakt Ich feier euch unterstreicht das. Es gibt zunächst ein paar Lo-Fi-Sekunden wie aus dem Kassettenrekorder, mit dem sie in ihren Göttinger Anfangstagen noch ihre Demo-Tapes kopierten. Dann werden Gemeinschaft, Zusammenhalt und Party gepriesen, nicht zuletzt auch die Freiheit, in einem geschützten Raum so sein zu können, wie man will. „Als mit 13 der Punk in unser Leben kam, war das wie eine Explosion im Kopf. Es gab nichts anderes mehr, was uns interessiert hat“, sagt Sänger und Gitarrist Joshi. „Wir waren ein fester Kreis an Freunden, und die Allermeisten von damals sind bis heute unsere besten Freunde.“
Das folgende Die Kids sind okay übergibt die Fackel mit einem Proto-Punk-Sound (inklusive Knüppel-Rhythmus und „Woohoohoo“-Chor) quasi an die nächste Generation. „Das Gejammer, dass ‚die Jugend‘ sich nicht mehr für Politik interessiert und dass früher alles besser war, nervt uns. Mehr denn je gehen die Kids auf die Straße. Fridays For Future, Black Lives Matter, Hambacher Forst, Ende Gelände, Antifa. Diesen coolen Kids gilt unser Respekt und unsere volle Unterstützung!“ Diese Anerkennung von Engagement, der Glaube an Bewegungen und nicht zuletzt an den Sieg des Guten prägt dieses Album wie nichts sonst.
Mach’s gut mit einem Kinderchor zu Beginn und gut funktionierenden Reggae-Elemente setzt darauf, dass hoffentlich die Richtigen (also die Idioten) aussterben oder sich anderweitig verpissen werden. Der Titelsong Ende der Welt erklärt das Kapital zum Feind und Widerstand zur einzig denkbaren Haltung dazu. „Klimakatastrophe, hunderttausende Virus-Tote, durchgeknallte Staatschefs und mordende Nazis. Man kann ja wirklich das Gefühl bekommen, dass wir am Ende der Welt angekommen sind. Aber all diese Verachtung für das Leben kann und wird die guten Dinge, die passieren, niemals übertönen. Millionen von Menschen weltweit gehen auf die Straße, die AfD verliert stetig an Stimmen, immer mehr stellen sich den Nazis in den Weg – Gemeinsam streiten wir jeden Tag für eine bessere Welt. Wir sind noch nicht am Ende“, sind ZSK überzeugt.
Passend dazu preist Alle meine Freunde das Gefühl, gemeinsam für das Richtige (und gegen die AfD) zu sein, der Song wird live sicher sehr viel Spaß machen, falls es noch vor dem tatsächlichen Ende der Welt wieder Konzerte geben sollte. Wie groß die Sehnsucht danach ist, besingen sie in Rumstehen, das gut auf die letzte Madsen-Platte gepasst hätte. „Wir können es kaum abwarten, unseren Fans die neuen Songs um die Ohren hauen zu können. Verschwitzte Clubshows, Anschreien, Stagediving, Moshpits – wir vermissen das alles so sehr“, sagen Matthias, Ace, Eike und Joshi. „Nazis, Corona, AfD – niemand kann die Musik kaputtkriegen“, meint Sänger Joshi. „Sobald es endlich wieder normale Konzerte gibt, drehen wir mit den Fans richtig durch. Wir haben viel nachzuholen.“
Ein emotionales Highlight der anstehenden Auftritte dürfte Stuttgart werden. Dort stand Joshi auf der Bühne an dem Tag, als seine Mutter starb. „Das war 2016, aber ich habe bis jetzt gebraucht, um es übers Herz zu bringen, diesen Song aufzunehmen“ erzählt der Sänger. „Im Nachhinein war es damals das Beste, was mir passieren konnte, dass ich mit meinen besten Freunden zusammen war.“ Das Stück wird rührend und dabei frei von Kitsch, passend zur Attitüde dieses Albums ist es kein Lied über das Sterben, sondern über das Dankesagen, Vermissen und Weitermachen. Mit Kein Talent nehmen ZSK allen Vorwürfen von Inszenierung und Anbiederung noch mehr den Wind aus den Segeln, denn sie zeigen hier, dass sie genau durchschaut haben, wie diese Methoden funktionieren, und wie wenig Lust sie selbst darauf haben. „Scheiß drauf, Hauptsache laut“, heißt die Quintessenz und der Gastauftritt des Hamburger Rappers Swiss (den sie 2017 schon als Anheizer mit auf Tour genommen hatten) passt wunderbar zu diesem Mix aus Glaubensbekenntnis und Selbstironie.
Auch für Sag mir wie lange haben sich die Berliner externe Unterstützung geholt: Der Song ist mit Anti-Flag-Bassist Chris Barker auf einer gemeinsamen Tour entstanden und dann übers Internet fertiggestellt worden. “Chris ist nicht nur ein wahnsinnig schlauer, lustiger Typ, sondern auch ein unglaublicher Musiker. Er hat genau verstanden, was unseren Sound ausmacht“, schwärmt die Band über den Song, der kein Verständnis dafür hat, wie gleichmütig der Rest der Welt die Lage der Dinge und all die Katastroophen „von Hanau bis nach Halle“ hinnimmt. No Justice ist der Schwachpunkt des Albums: Wie auf ihren ersten drei Alben singen ZSK hier auf Englisch, das Ergebnis wirkt aber (bis auf das schicke Refused-Zitat) recht plump. Auch Mein Zuhause ist bei dir kann mit seinem Bonnie und Clyde-Gefühl nicht ganz überzeugen.
Ganz am Schluss gibt es das ebenso witzige wie kompakte Lied, das ihnen so viel Aufmerksamkeit gebracht hat wie nichts zuvor in mehr als 20 Jahren als Band: Ich habe Besseres zu tun feiert Christian Drosten und lässt alle Querdenker, Aluhüte und Impfgegner wissen, wie asozial sie sind. Es räumt die letzten Zweifel daran aus, Ende der Welt sei womöglich ein Schnellschuss, mit dem ZSK zu ihren eigenen Trittbrettfahrern werden könnten: Es ist kein Fixpunkt der Platte, sondern klingt wie der Gimmick, der es letztlich auch immer nur sein sollte.
Das Video zu Die Kids sind okay ist natürlich im Smartphone-freundlichen Hochformat.
Vielleicht wird es 2021 Konzerte von ZSK geben, und zwar hier:
07.05.21 Berlin, SO36
08.05.21 Berlin, SO36
14.05.21 Saalfeld, Klubhaus
24.09.21 Würzburg, Posthalle
25.09.21 Chemnitz, AJZ Talschock
01.10.21 Magdeburg, Factory
02.10.21 Osnabrück, Rosenhof
29.10.21 Regensburg, Alte Mälzerei
10.12.21 Ulm, Roxy
11.12.21 Erlangen, E-Werk
17.12.21 Dresden, Tante Ju
18.12.21 A – Wien, Arena
14.01.22 Leipzig, Täubchenthal
15.01.22 München, Backstage
04.03.22 Karlsruhe, Substage
05.03.22 Kaiserslautern, Kammgarn
25.03.22 Bremen, Schlachthof
26.03.22 Kiel, Pumpe
08.04.22 Wiesbaden, Schlachthof
09.04.22 Hamburg, Große Freiheit 36
14.04.22 Düsseldorf, Zakk
16.04.22 Rostock, Mau Club
24.03.22 Hannover, Faust