Künstler*in | ZSK | |
Album | Hass↯Liebe | |
Label | Hamburg Records | |
Erscheinungsjahr | 2023 | |
Bewertung |
Es sind gute Zeiten für Punkbands. Die AfD wird zehn Jahre alt und posaunt zum traurigen Jubiläum einen Regierungsanspruch heraus. Das Nachbarland eines Nachbarlands von Deutschland wird in einem brutalen Krieg angegriffen. Die Covid-Pandemie hat gezeigt, zu wie wenig Zusammenhalt unsere Gesellschaft fähig ist, und obendrein die Reichen noch reicher gemacht. Und der Planet geht für die Hunde, weil Konsumgeilheit seit Jahrzehnten als Lebensinhalt verkauft wird. Wer sich aufrecht für Miteinander und Gerechtigkeit engagiert, hat in diesen Tagen wahrlich keine Probleme, geeignete Themen und Aufreger zu finden, gegen die man ansingen kann.
Es könnten schlechte Zeiten für ZSK sein. Die 1997 in Göttingen gegründete Band hat zwar ohne Zweifel reichlich Punk-Credentials („Die ersten zehn Jahre haben wir richtig Scheiße gefressen. Unsere Liebe zu dieser Musik war uns stets Antrieb genug. Ob 50 Leute zum Konzert gekommen sind oder 500, war uns lange Zeit egal“, sagt Sänger und Texter Joshi), könnte sich zum 25. Jubiläum und mit dem morgen erscheinenden siebten Album Hass↯Liebe aber auch mit ein paar Vorwürfen und Krisenerscheinungen konfrontiert sehen. Nach dem Erfolg des 2021 veröffentlichten Albums Ende der Welt (Platz 3 in den deutschen Charts und bisher meistverkauftes Album der längst in Berlin ansässigen Band) sowie zuletzt einer Arena-Tour als Vorband von Rise Against wird bestimmt irgendwo jemand „Sellout“ rufen. Auch eine erneute Umbesetzung (die zweite Gitarre spielt jetzt Arne statt wie bisher Ace) könnte als gefährliches Signal gedeutet werden. Nicht zuletzt werden einige Leute das siebte ZSK-Album hören und feststellen: Das ist alles viel zu positiv und nicht kritisch genug.
Hass↯Liebe hat in der Tat gleich mehrere Songs mit plumpen „Ohohoho“-Chören zu bieten wie Bleib einfach wie du bist, das auch noch etliche weitere Stadionrock-Elemente einbaut (im Text allerdings die Unangepasstheit feiert). Tränen, Schweiß, Blut, der schwächste Moment des Albums, spielt ganz zu Beginn mit Referenzen aus Eighties-Hardrock à la Van Halen oder Bon Jovi (also maximalem Un-Punk), erweist sich im Text aber ebenfalls als Huldigung an Widerstand und Rebellion. Mit der Ballade Und ich höre dich atmen gibt es zum Abschluss der Platte gar ein Liebeslied.
Dazu kommen Songtitel wie Ich liebe dieses Leben und Glück, die auch genau von diesen Inhalten handeln. Ersteres erinnert daran, dass es auch in diesen düsteren Zeiten natürlich Positives und Erfreuliches gibt (zum Beispiel Freunde, Feiern, Festivals), auch wenn man sich manchmal selbst daran erinnern muss, und dass viele von uns die Möglichkeit haben, bei der Work-Life-Balance die richtige Waagschale ganz unten zu halten. Letzteres besingt mit Ska-Anteilen und sehr kreativer Gitarrenarbeit die Dankbarkeit und das Glück, das bekanntlich größer wird, wenn man es mit anderen Menschen teilt. Auch Neuanfang passt in diese Reihe, hier erinnern sich ZSK an ihre Jugend, wohl wissend, dass sie schon eine Weile zurück liegt, aber das Leben damit noch lange nicht vorbei ist.
Es ist dieses Wissen, mit dem Joshi, Arne, Bassist Eike und Schlagzeuger Matthias den Kritiker*innen problemlos den Wind aus den Segeln nehmen können: Jammern, Schimpfen und den Kopf in den Sand stecken bringt nichts – und ist vor allem nicht Punk. Zu dessen Spirit gehört es vielmehr, konstruktiv zu sein, Möglichkeiten für Veränderung und Zusammenhalt zu schaffen. Und genau das tun ZSK auf Hass↯Liebe. „Es ist ein Album zum Durchhalten, zum Feiern und vor allem zum Rausschreien der ganzen Wut“, sagt Joshi.
Man hört das gut im Titelsong, wenn er dort „Hass, Hass, Hass“ brüllt, bezogen auf eine Beziehung (nicht zwangsläufig zu einem anderen Menschen), die von (digital unterstütztem) Kontrollzwang und fehlenden Freiräumen geprägt ist. Joshi zählt das Stück zu seinen „absoluten Lieblingssongs“ im Repertoire von ZSK. „Wir spielen ihn bereits live. Du schreibst einen Song, aber ob der dann auch auf der Bühne funktioniert, kannst du nicht wissen. Bei Hass↯Liebe sind von Anfang an alle gesprungen.“ Ähnlich wuchtig und kurzweilig ist der Album-Auftakt Darwin mit dem dezenten Hinweis: Wir sind als menschliche Gattung auf dem besten Wege, uns selbst auszulöschen. Und sollte das passieren, haben wir es nicht besser verdient, weil wir es sehenden Auges tun. Viel Tempo hat auch Stärker als die Angst, dessen Refrainmelodie an 1000 gute Gründe von den Toten Hosen (mit denen ZSK auch schon auf Tour waren) erinnert.
Zweimal erlaubt sich das Quartett aus Berlin sogar so etwas wie Humor. Das mag seltsam anmuten angesichts der eingangs geschilderten Weltlage, die so viel Anlass zu Protest und Kritik liefert. Aber sie stellen dem Hass hier eben sehr bewusst die Liebe an die Seite, dem Aktivismus den Spaß, der Besorgnis die Hoffnung. So wird Scheißtyp (ein Duett mit Romana Aufinger von Attic Stories) eine amüsante Abrechnung mit Posern, Blendern und Angebern. Hipster nutzt zwar ein paar recht billige Klischees (Bart, Podcast und Chai Latte), hat aber auch ein paar sehr gute Textideen (etwa den Wunsch nach einem Aussteigerprogramm für einst korrekte Kumpels, die nun plötzlich Hipster sein wollen, vor allem aber die Umkehrung der Perspektive, in der Punk zur Norm wird und jeder, der einen bürgerlichen Weg einschlägt, mitleidig mit Hilfe versorgt werden muss).
Dem stehen natürlich auch explizit politische Statements entgegen. Am deutlichsten wird das in Beratungsresistent, in dem Joshi mit feuriger Wut über Reichsbürger*innen, Aluhüte und Absolvent*innen der YouTube-Universität herzieht. Himmel thematisiert die schreckliche Realität und unerwartete Gegenwart des Kriegs. Die Ukraine wird dabei nicht genannt, aber es ist klar, dass sie gemeint ist – und dadurch, dass der Schauplatz nicht explizit erwähnt ist, wird auch klar, wie schnell es überall so aussehen könnte, also auch bei uns.
Es fehlt der Platte also keineswegs an Haltung, auch nicht an Energie. Die Musik ist kraftvoll, aber mit Licht und Luft an den richtigen Stellen, die Texte sind klug, aber nicht grüblerisch und verkopft. Vor allem sind ZSK durch die teils erstaunlich optimistischen Lieder zugänglich, ohne deshalb beliebig zu werden. Joshi stellt klar, dass die beiden Seiten von Hass↯Liebe eben schlicht das Leben repräsentieren, auch das Leben von Punkrockern: „Wir sitzen nicht den ganzen Tag in der Köpi und schmeißen Steine. Sondern wir sind Musiker und kommunizieren in den Songs, was uns beschäftigt und stört, aber auch, was uns gefällt.“