Autor | Jaroslav Rudis |
Titel | Der Himmel unter Berlin |
Verlag | Rowohlt Berlin |
Erscheinungsjahr | 2004 |
Bewertung | **** |
Kein Tippfehler. Es heißt wirklich „Der Himmel unter Berlin“. Denn dort spielt sich ein Großteil des Romans ab: in Schächten, Tunneln, Höhlen – in der U-Bahn. So heißt auch die Punkband des Tschechen Bém.
Er hat Prag verlassen, wo bloß Routine und Verantwortung auf ihn warteten. Nun findet er sich in Berlin wider, wo die Linien und Netzwerke der Züge ihm zwar keine Orientierung bieten, aber doch bald als eine passende Metapher für das Leben in dieser Stadt zwischen Ost und West, zwischen steinerner Vergangenheit und gläserner Zukunft erscheinen. Mit seiner Gitarre zieht er durch die Wagons, verdient ein paar Euro mit Liedern von Dylan oder den Beatles, und stellt schnell fest: „Es passiert so viel, dass letztendlich gar nichts geschieht.“
Das Buch lebt dann auch in erster Linie von seiner Atmosphäre, die ähnlich düster wie ein Tunnel und ebenso pulsierend wie der Takt der Züge ist.
Jaroslav Rudis, der für diesen faszinierenden Debütroman den Jiri-Orten-Preis erhalten hat, hält sich sprachlich entsprechend zurück, lässt fast alles aus Dialogen und Schilderungen erwachsen. Wenn er dann einmal lyrisch wird oder Metaphern einsetzt, sind diese um so wirkungsvoller.
Eine fantastische Komponente kommt durch die geheimnisvollen Geschichten hinzu, die man sich über die unzähligen Menschen erzählt, die in über hundert Jahren hier unten ihr Leben gelassen haben: Selbstmörder, lebensmüde Kids, verunglückte Trinker. Als Geister spuken sie angeblich noch immer über die Gleise – und haben sogar eine eigene U-Bahn-Linie, die sie einst ins Jenseits befördern wird. Vielleicht in die Hölle, vielleicht auch in den Himmel – unter Berlin.
Beste Stelle: „Jetzt ist es Nacht. Der dünne Finger des Fernsehturms stützt den schweren Himmel, damit er die Stadt nicht unter sich begräbt. Aber er kann nicht verhindern, dass die Stadt mit Dunkelheit überschüttet wird. Sie hängt in jeder Straßenecke, nur für kurze Momente wird sie durch das Neonlicht einer Bar durchlöchert, durch den beleuchteten U-Bahn-Krater oder die scharfen Stachel der Autoscheinwerfer. Dann wird es wieder dunkel, und Dunkelheit ist gleich Nacht.“