Autor | Abilio Estévez |
Titel | Ferne Paläste |
Verlag | Luchterhand |
Erscheinungsjahr | 2002 |
Bewertung | **** |
Dieses Buch, nach dem ausgezeichneten „Dein ist das Reich“ der zweite Roman des Kubaners Abilio Estévez, ist ein Buch über die Sehnsucht. Die Hauptfigur, ein obdachloser Homosexueller namens Victorio, sträunt kurz vor der Jahrtausendwende durch Havanna. Er weiß, dass es die falsche Zeit und der falsche Ort für ihn ist. Aber er weiß nicht, ob er sich lieber in die prunkvolle, koloniale Vergangenheit zurückwünschen soll, oder sich eine angenehme, post-revolutionäre Zukunft erträumen. Soll er fliehen, wie so viele andere, oder eine Heimat erbauen?
Es ist diese Zerrissenheit, die „Ferne Paläste“ so erschütternd und bewegend macht. Victorio ist fremd in seiner Stadt, und die Stadt ist fremd in ihm, mit ihrem Zwitterdasein zwischen Pracht und Armut, Prunk und Fäulnis.
„Havanna ist eine Stadt, die am Meer träumt und leidet“, heißt es an einer Stelle – Victorio geht es genauso, und deshalb weiß er natürlich, dass er eigentlich sehr an dieser Stadt hängt, dass sie letztlich sein einziger Mittelpunkt ist. Um dieses Zentrum herum pulsiert in diesem Roman alles, ganz sprunghaft geht es vom Konkreten zum Abstrakten, vom Traum zur Realität, vom Detail zu den ganz großen Themen.
Am Ende ist „Ferne Paläste“ nicht nur ein faszinierendes Porträt einer Stadt, sondern eine treffende Studie über die Befindlichkeit eines ganzen Systems. Und einer Generation, die nicht viel mehr hat als ihre Sehnsucht.
An der besten Stelle verbrennt Victorio sein gesamtes Hab und Gut, auch seine Bücher: „Es sind nicht viele, zum Glück. Ein leiser Anfall von Sentimentalität hindert ihn daran, einen letzten Blick auf sie zu werfen, auch wenn es keine Rolle spielt, ob er sie anschaut, denn Victorio kennt sie nur zu gut, er muss sie bloß anfassen und weiß, um welches Buch es sich handelt, um welchen Autor, welche Zeit, welche Gegend der Welt, denn die Bücher sind wie die Menschen, sie haben ihren eigenen Charakter, ihre Würde, ihre Eleganz, ihre Torheiten, ihre Launen. Jedes Buch hat einen Körper und eine Seele. Manchmal, in endlos vielen Fällen, besitzen sie sogar mehr Seele als die Autoren selbst, die sie ins Leben gerufen haben.“